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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem
Autoren: Taavi Soininvaara
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Sie stammte aus Castelvetrano in Westsizilien. Vincenzo Mitrano war im Jahre 1911 mit der S. S. San Guglielmo von Palermo nach New York gesegelt. Die Mitranos hatten eine grandiose Vergangenheit: Sie waren eine der ursprünglich sieben Familien im 1931 gegründeten Obersten Rat der Mafia-Familien. Gleichwohl hatten auch sie Schweres durchmachen müssen: Anfang der fünfziger Jahre wurde die Familie wegen des Drogenhandels für einige Jahre aus dem Obersten Rat ausgeschlossen. Ende der siebziger Jahre wurden zwei Oberhäupter der Familie ermordet. Und in den achtziger Jahren mußten zwei Chefs ins Gefängnis, der eine dank eines eingeschleusten FBI-Agenten und der andere, weil er die Öffentlichkeit zu sehr liebte. In den neunziger Jahren verloren die Mitranos die Kontrolle über ihre Goldgruben, die Bauwirtschaft von New Jersey und die Gewerkschaft der Mitarbeiter der Straßenreinigung.
    Als Großvater Carlo vom Ende der fünfziger Jahre bis in die Mitte der siebziger Jahre Chef war, hatten die Mitranosihre goldene Ära erlebt. Carlo erweiterte das Wirkungsfeld der Familie bis nach Kanada, über das die Drogen von Sizilien in die USA gebracht wurden.
    Mike Mitrano würde der erste Chef seit Großvater Carlo werden, der den Namen der Familie trug. Auch er wollte den Wirkungskreis der Familie auf neue Territorien ausdehnen. Nach Ungarns EU-Beitritt würde er die Geschäfte der Familie zunächst auf den riesigen Markt von Großbritannien ausweiten. Die vierhundert größten kriminellen Organisationen von London machten im Jahr insgesamt einen Gewinn von über vierzig Milliarden Euro. Er würde Schritt für Schritt vorgehen und ein Land nach dem anderen einbeziehen. In ganz Europa.
    Großvater Carlo hatte mit Hilfe der Gewerkschaftsführer politische Macht ausgeübt, er tat das gleiche mit Hilfe von Politikern. Die vaterlandslosen EU-Beamten waren ungewöhnlich leicht zu bestechen: Kein Wunder, daß aus der Schatztruhe der EU jährlich durch Unterschlagung und Betrug Hunderte Millionen Euro verschwanden.
    Er tat sein Bestes, um genauso unauffällig zu agieren wie sein Großvater. Für die Öffentlichkeit hatte er einen seiner Befehlsempfänger als Chef der Familie eingesetzt. Der Mann durfte sich gegebenenfalls in der Öffentlichkeit sonnen, da er nichts von den Geschäften der Familie wußte und demzufolge nichts erzählen und nicht überführt werden konnte. Währenddessen konnte er, Mike Mitrano, in aller Ruhe die Familie führen; Mike Mitrano verkörperte den neuen Typ des Chefs, den Geschäftsmann.
    Die »Operation Ungarn« war seine Chance, Geschichte zu schreiben und in die Garde der großen Chefs aufzurücken. In Osteuropa war die gleiche Phase im Gange wie in Amerika Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Kriminellen stabilisierten ihre Position, indem sie Unternehmen kauften und ihre Geschäfte legalisierten. Ein großerTeil der Unternehmen, die er in Budapest gegründet hatte, übte eine legale Geschäftstätigkeit aus.
    Die Familie Mitrano eroberte Europa nicht allein. Für die Sicherung des ungarischen EU-Beitritts bekam sie gutes Geld von den radikalsten Wirtschaftskreisen der Vereinigten Staaten, von anderen Organisationen, die Osteuropa für ihre kriminellen Geschäfte nutzten, und auch von einigen legalen amerikanischen Unternehmen, die in Ungarn investiert hatten. Niemand wollte sein investiertes Geld verlieren.
    Mit den Morden an den Kommissaren half er vielen Kriminellen und Unternehmen, die Ungarn für die Geldwäsche oder als Stützpunkt auf dem Gebiet der EU brauchten. Viele hatten ihm Geld über ihre Tarnfirmen gezahlt, auch er wußte nicht, wer alles an dem Gemeinschaftswerk beteiligt war.
    Plötzlich waren im Erdgeschoß dumpfe Geräusche zu hören. Mitrano schaute auf seine Uhr, der Wachwechsel fand erst in über einer Stunde statt. Aldo versuchte Kontakt zum Kontrollraum aufzunehmen, aber es antwortete niemand. War die Polizei im Hause?
    Das Telefon klingelte. Überrascht hörte Mitrano, wie sich jemand in englisch mit starkem Akzent als Eigentümer von »UnitedAsiaCorp« vorstellte. Der Mann sagte, er rufe an, weil er sich nach dem Stand der Dinge erkundigen wollte.
    Mitrano kannte den Namen des Mannes nicht, aber er wußte, daß die »UnitedAsiaCorp« seine Bestrebungen in Ungarn mit Millionen Dollar unterstützt hatte, mit Schwarzgeld. Sie besaßen ein gemeinsames Interesse. Mitrano hatte nicht die geringste Ahnung, womit sich das Unternehmen beschäftigte, wem es gehörte oder warum es
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