Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor
Autoren: Myriane Angelowski
Vom Netzwerk:
ihn auf den Esstisch und konzentrierte sich auf den restlichen Inhalt.
    Nach und nach wickelte sie zwei speckige Beine, Ärmchen und den weichen Flanelltorsosack mit Silikonpopo aus der Luftnoppenfolie.
    Mehr schaffte Norma beim besten Willen nicht.
    Sie hob den Deckel der Eckbank, griff eine Tischdecke und warf sie kurzerhand über die bleichen Körperteile. Den Karton samt Bauanleitung und Zubehör schob sie in den Freiraum zwischen Sofa und Wand.
    Erleichtert atmete sie auf, als sie die Tür des Esszimmers Sekunden später hinter sich ins Schloss zog.
    Zielstrebig, mit schweißnassen Händen, drückte sie die Nummer ihres bevorzugten Schnellimbisses und bestellte eine Pizza Funghi-Family mit extra Käse. Als der bullige Typ, der das Essen meist brachte, fünfundvierzig Minuten später klingelte, gab Norma reichlich Trinkgeld, ging in die Küche, schob die Pizza auf einen Teller und schnitt sie in fünf gleich große Teile. Trotz Heißhunger bemühte sie sich, die Stücke ordentlich zu kauen, und spülte sie mit Cola light runter.
    Essen beruhigte Norma.
    Zum Nachtisch gönnte sie sich zwei Becher Vanillesahnepudding und setzte Kaffee auf. Gesättigt und viel ruhiger wählte sie sich schließlich ins Internet ein. Sie chattete in den Foren, die sie regelmäßig besuchte, fand Trost, aufmunternde Worte, Zuspruch und Tipps. Norma blieb online, bis es dunkel wurde, und betrat das Esszimmer an diesem Tag nicht mehr.

Cuxhaven, Abschnede
    Jonny klappte den Ordner zu und legte ihn beiseite. Das Hemd unter der Anzugjacke spannte über seinem Bauch, und unter den Achseln hatten sich feuchte Stellen gebildet.
    Er roch seinen Schweiß.
    Mit schnellen Griffen ordnete Ronny den Schreibtisch, sortierte Rechnungen, Lieferaufträge und die anstehenden Rabattaktionen in das Ablagesystem. Der Blumengroßhandel seines Vaters lief ausgezeichnet, aber Ronny hasste seinen Job. Er verfluchte sich oftmals dafür, dass er sich nach der Schule, ohne nachzudenken, auf den Juniorsessel hatte fallen lassen. Da hockte er nun und verschwendete seine Talente, wobei er nicht sagen konnte, worin diese eigentlich bestanden.
    Die meiste Zeit bemühte er sich einfach, ein braver Junge zu sein. Junge. Seine Eltern nannten ihn so. Niemals Ronald und schon gar nicht Ronny. Junge. Auch wenn er nächsten Monat fünfundzwanzig wurde.
    So lange er denken konnte, trug er Bundfaltenhosen und gebügelte Poloshirts. Alle vierzehn Tage ließ er sich die Haare nachschneiden, fuhr regelmäßig zur Maniküre in »Jennifers Nagelstudio« in der Nähe vom Bahnhof in Cuxhaven und hockte dort als einziger Mann an einem kleinen Tischchen zwischen all den Frauen, scherzte und verteilte Komplimente. Die Kundinnen schienen ihn zu mögen. So ein netter junger Mann. Ein wenig übergewichtig, aber gepflegt.
    Ronny seufzte, leerte seinen Kaffeebecher und sah aus dem Fenster. Wind und leichter Regen. November. Der Kreisel an der Aldi-Filiale lag verlassen.
    Ronny mochte den neuen Standort von Dallinger & Dallinger nicht. 2002 hatte sein Vater den Firmensitz im Alleingang von Cuxhaven-Döse hierher verlegt. Abschnede, ein Gewerbegebiet, nah an Cuxhaven und doch weit ab vom Schuss. Jedenfalls hatte sich Ronny auch jetzt, ein Jahr später, nicht an den neuen Standort gewöhnt.
    Die gute Lage schätzten vielleicht Kunden mit Einparkproblemen oder Lieferanten, aber für Ronny war das einfach ein herzloses Stück Niemandsland mitten im Nirgendwo, umgeben von Feldern und Wiesen. Kein nettes Café, keine ordentliche Pommesbude, null Charme.
    Er sah durch die Glasfront seines Office hinüber ins Großraumbüro der Mitarbeiter. Die Auszubildende, deren Namen er sich nicht merken konnte, stand Nägel kauend vor dem Kopierer, der alte Geseke telefonierte, offenbar hatte er eine Beschwerde in der Leitung. Ronny hörte förmlich, wie er sich bemühte, freundlich zu bleiben. Diese blöden Kunden.
    Ungeduldig sah Ronny auf seine Armbanduhr. Gleich Mittag. Sein Blick streifte den Industrietacker, den einer der Angestellten auf seinem Schreibtisch liegen gelassen hatte. Die Pistole, wie er den Tacker nannte, glänzte durch enorme Durchschlagskraft. Neulich hatte sich jemand aus der Verpackungsabteilung damit durch den Stoffturnschuh in den Fuß geschossen. Die Klammer durchstieß den Nagel des dicken Zehs und musste herausoperiert werden. Ronny hatte den Arbeiter zum Arzt begleitet und sich die Wunde interessiert angesehen. Manchmal betonte er gern seine fürsorgliche Seite.
    Geile
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher