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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor
Autoren: Myriane Angelowski
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ihre Kadaver in Mülltüten und warf sie ins nah gelegene Finkenmoor.
    Friedhof der Kuscheltiere, so nannte Ronny den Ort.
    Dort schlummerten bereits siebzehn Katzen, neun Zwergkaninchen, diese beiden undefinierbaren Pinscher, der Dobermann, der ihn ins Handgelenk gebissen hatte, sowie der graue Pudel, den er totprügelte, weil er nervte. Pudel mochte Ronny einfach nicht.
    Kimberly hatte mal einen besessen und den kleinen Kläffer ständig mit sich herumgeschleppt, ihm ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Das lag Jahre zurück. Kimberly. Ronnys Mund wurde trocken. Sie zieht zu ihrem Verlobten. Der hat einen Handyladen.
    Er zog einen kleinen Schlüssel aus seiner Hosentasche und steckte ihn in das verrostete Vorhängeschloss. Aber es ließ sich mal wieder nicht öffnen. Schnell verlor er die Geduld, rüttelte daran herum. Als das Schloss schließlich aufsprang, riss er das Messer aus seinem Ärmel, packte den Basset am Genick und stach wahllos auf das verängstigte Tier ein.

Cuxhaven, Abschnede
    Am nächsten Morgen stand Ronny um kurz nach sieben in der Küche, trank stehend Kaffee und ignorierte seine Mutter, die kopfschüttelnd neben ihm stand. »Ohne ordentliches Frühstück, Junge!«
    Ronny murmelte eine Entschuldigung und fuhr bei klarem Wetter in die Firma, bevor sein Vater die Treppe zum Frühstück herunterkam.
    Der alte Geseke saß bei Zeitung und Tee. Ansonsten lag das Großraumbüro der Mitarbeiter verlassen da. Ronny legte das Messer in die Schreibtischschublade und den Tacker auf die Ablage über dem Kopierer.
    Er schaffte es kaum, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Stattdessen starrte er geistesabwesend aus dem Fenster. Wäre das Firmengelände noch in Döse, hätte er jetzt ans Meer gehen können, vielleicht sogar zusammen mit Kimberly, sie hätten einen Milchkaffee getrunken. Hätte, hätte, Fischbulette. Stattdessen saß er hier fest, und daran war der Alte schuld. Die Unruhe vom Vortag kam schlagartig zurück.
    Ronny drückte die Spitze eines Bleistifts in seinen Handrücken. Er hasste die Alleingänge seines Vaters. Aber darin war Stinkemaul einsame Spitze.
    Ronny erinnerte sich an den Umzug von Bremen nach Cuxhaven. Als er dreizehn Jahre alt war, kaufte Berthold Dallinger ein Haus im Ortsteil Döse. Kurz entschlossen, im Alleingang. Nicht einmal seine Frau hatte er eingeweiht. Eines Sonntags packte er die Familie in den alten Mercedes und präsentierte ihnen voller Stolz einen schmucklosen Bungalow mit angrenzenden Lagerhallen. Niemals vergaß Ronny das Gesicht seiner Mutter, als sie vor den Gebäuden stand. Sie trug ein Sommerkleid mit Blumenmuster und einen albernen Strohhut.
    Berthold Dallinger war völlig außer sich. »Ich habe es gekauft und gleich komplett bezahlt!« Dabei rannte er umher und spielte sich auf wie ein Großgrundbesitzer. In seiner Euphorie schien er nicht zu bemerken, wie blass und schweigsam seine Frau wurde. Annemarie Dallinger rang um Fassung, das bekam sogar Ronny mit. Beim Rundgang durchs Haus stützte sie sich auf seine Schultern und bohrte ihre langen Fingernägel in seine Haut. Beim Anblick der grünen Fliesen im Bad brach sie in Tränen aus. Freudentränen, interpretierte Dallinger.
    Ronny wusste es besser.
    Dieses eine Mal waren er und seine Mutter sich ganz nah gewesen. Sie wollte nicht umziehen, genauso wenig wie er. In Bremen lag sein kleiner Bruder begraben, er hatte nur wenige Tage gelebt. Sie ruhten nebeneinander, der Kleine Berti und Ronnys heiß geliebte Oma, seine Bezugsperson ab dem zweiten Lebensjahr. Sie starb einen Tag vor Ronnys achtem Geburtstag. Einfach so. Morgens, am Küchentisch. Herzinfarkt. Auch für Ronnys Mutter ein Schock und gleichzeitig Aufruf, sich stärker zu engagieren. Kirchenbasar, Jugendchor, Seelsorge. Annemarie Dallinger sah sich als wichtigen Pfeiler im Bremer Hilfesystem.
    »Bedürftige findest du hier auch.« Mit diesem Satz bügelte Dallinger den vorsichtigen Einwand seiner Frau ab.
    Zwei Monate später fuhr der Umzugswagen vor. Ronny rebellierte auf seine Weise, ließ die Wasserhähne im neuen Haus absichtlich laufen, warf Steine in die Fenster, sorgte dafür, dass die Toiletten ständig verstopften.
    Es nutzte nichts. Sie kamen und blieben.
    Mit einer Schleuder schoss Ronny auf Igel, Vögel und Hasen. Genau wie früher in Bremen, nun aber mit mehr Eifer. Einmal kochte er zwei Hamster und zog ihnen das Fell über die Ohren. Ein Klassenkamerad hatte ihm geholfen, dann aber kalte Füße bekommen und gepetzt. Die Aktion hatte
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