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Finale Mosel

Finale Mosel

Titel: Finale Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Der Wecker zeigte kurz nach halb zwei. Sein erster Gedanke beschäftigte sich mit Quintus. Vorjahren hatte Walde irgendwo gelesen, in der Polarregion, aus der die Malamuts kamen, gäbe es keine Reviere zu verteidigen. Folglich seien Malamuts keine Wachhunde. Er hatte sich weiter keine Gedanken darüber gemacht, aber nun fiel es ihm wieder ein.
    Nebenan ächzte der Küchenboden. Das Geräusch gehörte zu den speziellen Lauten der Wohnung wie das Gurgeln in den Rohren, das Knacken der gusseisernen Heizkörper, wenn sie erkalteten oder wieder warm wurden, das leise Anschlagen der geschlossenen Schlafzimmertür gegen den Türrahmen bei Durchzug, das Umspringen des Datumsanzeigers in seiner analogen Uhr nach Mitternacht. Neben ihm atmete Doris ruhig.
    Jetzt war er wieder zu hören, der Laut. Es war das quietschende Scharnier des Küchenfensters. Hatte er das Fenster auf Kippe stehen lassen, als er die Tüte auf dem Tisch abgelegt hatte? War es Zufall, dass nun wieder der Fußboden knarrte? Zum zweiten Mal in den letzten Stunden dachte er an seine Waffe, die er in seinem Schreibtisch im Präsidium aufbewahrte. Sicher steigerte er sich in etwas hinein und verknüpfte die winzigsten Geräusche zu einem Szenario, das er am Morgen als dumme Paranoia abtun würde. Dennoch wäre ihm jetzt lieber gewesen, er hätte die Tüte nicht auf dem Küchentisch abgestellt, sondern mit ins Schlafzimmer genommen.
     
    Nachdem sie sich ausgewiesen hatte, erhielt Gabi an der Krankenhauspforte Auskunft, auf welcher Station Gorzinsky lag. Oben musste Gabi im schwach beleuchteten Flur warten, bis die Nachtschwester, sie war kaum älter als dreißig, aus einem Krankenzimmer kam, an dem die Ruflampe über der Zimmertür aufgeleuchtet hatte.
    »Ist Andreas Gorzinsky inzwischen zurück?« Gabi hatte sich die Nachtschwester vom Telefonat her wesentlich älter vorgestellt.
    »Vor einer Viertelstunde war er noch nicht da.«
    Sie ging vor zum Zimmer 335. Drinnen war der Fernseher die einzige Lichtquelle. Es lief ein Bericht über Sommer-Skispringen. Der Mann mit der Beinverletzung im Bett gegenüber schlief.
    »Er ist nicht da.« Die Schwester wies auf das aufgedeckte Bett. Vom Flur war ein dumpfer auf- und abschwellender Ton zu hören.
    »Wo könnte er hier im Krankenhaus zu finden sein?«, fragte Gabi.
    »Die Kantine und der Kiosk haben geschlossen.« Die Schwester eilte aus dem Zimmer und schaute, von wo der Ruf kam. »Ich weiß auch nicht, wo der sich mitten in der Nacht herumtreibt. Versuchen Sie es mal auf dem Raucherbalkon im zweiten Stock.«
     
    Und wenn jemand in Annikas Zimmer einstieg? Ich muss nachsehen, sonst kann ich sowieso nicht mehr einschlafen, dachte Walde, schlug vorsichtig die Bettdecke zur Seite und setzte die Füße auf den dünnen Teppich vor dem Bett. Er schlüpfte in die Diele und schloss leise die Schlafzimmertür hinter sich. Hier gab es den fahlen Lichtschein, der durch das Glas in der Wohnzimmertür fiel. Er schob die angelehnte Tür zu Annikas Zimmer auf und lauschte dem schnellen, leisen Atem des Kindes.
    Auf dem Weg zur Küche überlegte er fieberhaft, welchen Gegenstand aus der Diele er als Schlagwaffe benutzen könnte. Es gab nur zwei Schirme. Beim Herunterdrücken der Küchentürklinke konnte er ein Knarren nicht vermeiden. Als er sie aufschob, spürte er, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und ihm ein kalter Schauer über Rücken und Arme lief. Das Fenster stand weit offen, die Tischplatte war leer. Von draußen hörte er ein Geräusch, es schien von der Terrasse zu kommen.
    Gebückt stieg Walde auf einen Stuhl und von dort auf die Arbeitsplatte und durchs offene Fenster. Als er auf der anderen Seite auf die Wiese sprang, sah er die helle Tüte auf den Terrassendielen liegen. Er schaute sich um. Niemand war zu sehen. Unter seinen nackten Fußsohlen spürte er den kalten Tau des Grases. Auf der Terrasse angekommen, beugte er sich hinunter und fasste die Tüte an einem Henkel. Das Plastik spannte sich, der Laptop schien also noch drin zu sein.
    Diesmal klang der Gong dumpfer und mit weniger Nachhall, als wäre er kleiner und aus dickerem Metall. Oder erzeugte der auf die Dielen fallende Laptop das Geräusch? Als Letztes hörte Walde ein Aufheulen, das von Quintus kam. Dann wurde ihm schwarz vor Augen und er stürzte zu Boden.
     
    Der Raucherraum im zweiten Stock des Krankenhauses war menschenleer. Auf dem Weg zum Ausgang kam Gabi am geschlossenen Kiosk vorbei. Den Gedanken, in der Pension anzurufen, verwarf sie
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