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Finale Mosel

Finale Mosel

Titel: Finale Mosel
Autoren: Mischa Martini
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fertiggebracht, mit dem Schwert in der Brust, noch eine halbe Stunde zu singen. Jetzt konnte er nicht einmal um Hilfe rufen, und an Singen war überhaupt nicht zu denken. Ihm war auch nicht danach, eine leidende Miene aufzusetzen. Er musste nicht daran denken, was Regisseur, Publikum und Presse von seiner Mimik hielten. Mit der Luft sog er noch etwas anderes durch die Nase. Es löste einen Hustenreiz aus. Er öffnete erneut den Mund und presste gleich wieder die Lippen zusammen. Um ihn herum stieg das Wasser, und er schaffte es nicht, seinen Kopf zu heben.
    Er wollte nicht hier in diesem Graben verrecken. Bei Verdi sangen die Toten noch munter weiter, lange nachdem sie gestorben waren. Er dachte an Gilda, Rigolettos brutal hingemordete Tochter, die der Vater im Leichensack findet. Selbst sie ist noch lebendig genug, mit dem gramgebeugten Vater ein holdseliges Duett zu singen. Solche Gedanken hatte doch kein Mensch in seiner Todesstunde. Wurde er jetzt verrückt? Dies war nicht der Ort, an dem er sterben würde! Er hatte schon andere Situationen überlebt. Er musste es nur schaffen, seine Nase aus diesem verdammten Schlamassel zu heben. Wieder überkam ihn der Hustenreiz. Was er da mit dem Atem einsaugte, wurde er nicht mehr los.
    Tiefenbach trug knielange Shorts und boxte, seine Gegnerin trug ein kostbares wallendes Kleid. Scheinwerfer blendeten ihn. Bei jedem Schlag gab er ein dunkles gurgelndes Geräusch von sich. Sie wich den Schlägen aus, während sie ihm ins Gesicht lachte. Ein lautes, künstliches Bühnenlachen. Da gab es noch mehr Gelächter. Als er zum Publikum sah, versetzte seine Gegnerin ihm einen Hieb auf den Solarplexus, der ihm den Atem nahm. Er sah sich von außen, wie er zu Boden ging.
    Sein heftig pochendes Herz war bemüht, durch schnellere Schläge den nach Sauerstoff verlangenden Körper zu versorgen. Er hatte immer noch keine Schmerzen. Es konnte doch nicht so schnell zu Ende gehen! Er versuchte, in die Phantasterei mit dem Boxkampf auf der Bühne zurückzufinden, aber er brachte nicht einmal mehr das Gurgeln zustande …
    *
    »Das ist das Einzige, mit dem mir die Pfaffen kommen können.« Uli trank sein Weinglas aus und schenkte sich von dem Ockfener Bockstein aus den Bischöflichen Weingütern nach.
    Walde wiederholte immer wieder den gleichen Lauf auf seinem Kontrabass, obwohl ihm die schmerzende Kuppe des Ringfingers signalisierte, dass er mit einer Blase rechnen musste.
    »Aber das muss man ihnen lassen, von Wein verstehen sie was.« Uli stellte die Flasche ab und klimperte ein einhändiges Solo auf dem kleinen Keyboard, das er mitgebracht hatte.
    Walde wusste nicht, wie lange das Telefon schon klingelte. Auf dem Weg zur Diele ärgerte er sich, dass er es dort auf der Kommode hatte liegen lassen.
    »Hab’ ich dich geweckt?«, fragte seine Kollegin Gabi. Sie schien beim Autofahren zu sein.
    »Nein, ich hab’ das Telefon nicht gleich gehört.« Mit einem Ohr lauschte Walde in Richtung Annikas Zimmer. Aber seine Tochter ließ sich heute Abend weder vom Donner des Gewitters noch von sonstigen Geräuschen aus der Wohnung um den Schlaf bringen.
    Während er das Telefon mit ins Zimmer nahm, wo Uli weiter auf dem Keyboard klimperte, sprach Gabi hastig weiter: »Entschuldige die Störung, ich weiß, du hast keine Bereitschaft, deshalb nur zur Info, nicht dass du dich nachher beschwerst, ich bin unterwegs zum Amphitheater. Da hat es einen Toten gegeben.«
    Durch Waldes Kopf schossen Bilder, wie die Zuschauertribüne zusammenbrach und über den Trümmern und Verletzten eine panische Massenflucht einsetzte – und Doris mittendrin. Seine Uhr zeigte halb eins. In der Diele wurde die Korridortür aufgeschlossen. Walde steckte den Kopf durch die Tür. Doris lächelte ihn an. Ihre Haare klebten am Kopf. Sie streifte die Schuhe ab und eilte ins Bad.
    »Bist du noch da?«, kam es aus dem Telefon.
    »Weiß man, … also wer …?«
    »Es soll dieser Sänger sein, der Tiefendings oder so.«
    »Der Tiefenbach?«, fragte Walde.
    »Genau.«
    Vor dem Fenster tauchte Quintus’ gewaltiger Kopf auf. Er hatte die Pfoten auf die Fensterbank gestellt. Vor einem Jahr hatte Walde den Malamute bei einem einsamen Haus in der Eifel gefunden, wo er nach dem Tod seines Herrchens wochenlang ohne Futter überlebt hatte. Walde hatte es nicht übers Herz gebracht, den Hund im Tierheim abzugeben.
    »Was ist passiert?«, fragte Walde.
    »Er soll ertrunken sein.« Keine Spur von Ironie schwang in der Stimme seiner Kollegin
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