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Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)

Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)

Titel: Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)
Autoren: Christopher Smith
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die Augenbinde aus seiner Tasche, die zu tragen er Celina versprochen
hatte, als sie vor all diesen Monaten gesprungen war. Er zeigte sie der Frau,
die nur mit den Schultern zuckte, was ihn belustigte, denn in den Staaten schuf
das Panik. Sie half ihm über das hölzerne Geländer, brachte das Seil an seinen
Fußgelenken an, zog den Nylongurt fest und überprüfte die Schnallen.
    Jack
band sich die Augenbinde um.
    In
der Dunkelheit erwachten seine Sinne. Der Fluss war lauter, und die Sonne
schien irgendwie intensiver zu sein. Er konnte das Trommeln der Natur spüren
und sein Herz in der Brust schlagen fühlen.
    Die
Frau berührte seinen Arm. „Spring,” sagte sie. „Du fliegst.”
    Jack
stand bereit auf der Brücke und atmete tief ein. Er nickte und ließ das
hölzerne Geländer los. Einen Moment lang stand er nur so da, in perfektem
Gleichgewicht und mit ausgebreiteten Armen. Seine Haare bewegten sich im Wind.
Seine Handflächen waren gegen einen schimmernden und wolkenlosen Himmel
gerichtet, den er nicht sehen konnte. Er hatte ein Gefühl für alles und nichts.
Die schwachen und exotischen Gerüche des Dschungels umgarnten ihn, verzehrten
ihn, und zum allerersten Mal in Monaten lächelte er.
    Er
dachte da Celina, und als er sprang, sprang er mit Entschiedenheit; sein Rücken
war durchgedrückt, während er anmutig in die Luft und in die Sonne stieg.
    Einen
Augenblick lang war er frei.

 
    *   *   *

 
    Michael
Archer war in New York geblieben. In den sechs Monaten, die seit der Aufhebung
seiner Ehe mit Leana vergangen waren, hatte er ihr gemeinsames Apartment in der
Fünften verlassen und war in eine große Dachgeschosswohnung im Village
eingezogen, die über den Hudson blickte.
    Sein
Leben war jetzt ruhiger.
    Er
ging selten aus und traf sich nur mit seinen engsten Freunden. Er wies die
besten Rollen im Film und am Broadway zurück. Er verweigerte alle Interviews.
Obwohl ihm sein Agent ständig damit in den Ohren lag, an einem weiteren Buch zu
arbeiten, hatte er seit Monaten kein einziges Wort mehr geschrieben. Er hatte
auch schlechte Träume. Aus ihm war wohl so etwas wie ein Einsiedler geworden.
    Ende
September, zwei Monate nach den Ereignissen im Hotel Fifth, hatte er einen
Brief von einem der Anwälte George Redmans erhalten, in dem der Vorschlag
gemacht wurde, dass er und George sich einem Bluttest unterziehen. Michael
hatte abgelehnt. Um zu wissen, dass er George Redmans Sohn war, bedurfte es
seiner Ansicht nach keines Bluttests. Das Tagebuch seiner Mutter hatte das
bereits bestätigt.
    Mit
eigener Hand hatte Anne – detailliert! – ihre Affäre mit George
beschrieben und warum sie wusste, dass Michael Georges Sohn war. Wenn Redman
das so wie ihre offensichtliche Ähnlichkeit nicht akzeptieren konnte, dann war
es für Michael das Beste, kein Teil im Leben dieses Mannes zu sein.
    In
seinen Träumen kam Leana zu ihm:
    Er
ging gewöhnlich die Fifth Avenue entlang, und sie tauchte in der Menge auf. Sie
trug dasselbe Kleid, das sie in jener Nacht im Hotel Fifth angehabt hatte. Ihre
Haut war blass und durchsichtig, und ein winziges helles Licht schien aus dem
Loch in ihrem Bauch.
    In
dem Traum streckte sie ihm die Arme entgegen und rief seinen Namen mit einer
Stimme, die nicht die ihre war, sondern eine, von der er sich vorstellte, seine
Mutter könnte so geklungen haben. Und dann war sie verschwunden. Und wenn
Michael ihr hinterherrannte, war es stets das Gesicht von Louis Ryan, das er
sah – nicht Leanas.  
    Von
Leana hatte er seit der Auflösung ihrer Ehe nur ein einziges Mal gehört. Als
sie anrief, war sie mit Mario De Cicco irgendwo in Europa, aber sie sagte
nicht, wo genau. Trotz allem, was zwischen ihnen beiden vorgefallen war –
und besonders wegen des Umstands, dass sie Halbbruder und Halbschwester waren
–, bewunderte er sie dafür, dass sie das Gespräch so unbeschwert führen
konnte.
    „Ich
bin eine Auslandsamerikanerin,” sagte sie. „Stell dir das mal vor. Und ich bin
glücklich. Im Moment reisen wir jedenfalls durch Europa. Dann besuchen wir
andere Flecken auf dieser Welt und überlegen uns, wo wir uns niederlassen und
eine Familie gründen wollen. Wenn sich etwas ergibt, ruf’ ich dich wieder an.
Das könnte in einigen Monaten oder in einigen Jahren sein, aber ich melde
mich.”
    „Mir
tut das alles so Leid, Leana.”
    „Das
weiß ich,” sagte sie. „Aber es ist nicht Deine Schuld – er hat uns beide
benutzt. Hör mir zu: Wenn wir das alles nicht hinter uns lassen, wenn wir
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