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Fey 10: Das Seelenglas

Fey 10: Das Seelenglas

Titel: Fey 10: Das Seelenglas
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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senkte den Kopf und schlug beide Hände vor die Augen, als könne sie nicht mit ansehen, wie Matthias ihr kostbarstes Heiligtum berührte.
    Das Buch auf dem Altar war geschlossen. Es hatte einen Ledereinband und war schon sehr alt. Eigentlich war es kein richtiges Buch, denn seine Seiten waren nicht zusammengeheftet. Es war eher eine Sammlung von Notizen, eine Mappe, in der man lose Blätter aufbewahrte, damit sie nicht verlorengingen.
    Matthias strich über den Einband. Das Leder fühlte sich weich und abgegriffen an, obwohl es wie neu aussah. Pausho wandte noch immer den Blick ab. Die Arme schützend um sich geschlungen, kauerte sie auf dem Boden.
    Das Gold des Altars war tatsächlich zur vorherrschenden Farbe geworden. Das ganze Gewölbe erstrahlte. Merkwürdig, dachte Matthias. Er hatte nicht gewußt, daß Stein sich so verändern konnte.
    Er befühlte den sorgfältig gearbeiteten Einband, holte tief Luft und rief sich die Anfangszeilen der Worte ins Gedächtnis.
    Gesegnet seist du, der du diese Zeilen liest.
    Matthias öffnete den Lederdeckel und starrte auf die erste Seite, bevor er zu lesen begann.
    Schon das Papier war ein Kunstwerk für sich. Es war dick und besaß eine herrliche Struktur. Die oberste Seite war nicht mit den sorgfältigen Lettern eines Kopisten bedeckt wie in den anderen Ausfertigungen der Worte, die Matthias kannte, sondern mit einer richtigen Handschrift. Es gab keinen Zweifel: Dies waren die originalen Worte. Sie waren wie in großer Eile niedergeschrieben und voller Kleckse und verwischter Buchstaben.
    Der Verfasser hatte mit der rechten Hand geschrieben, und zwar von rechts nach links, wie es bei Alter Inselsprache üblich war. In diesem Falle mußte man sehr aufpassen, um das Geschriebene nicht zu verschmieren, so wie es dem Schreiber dieser Zeilen an einigen Stellen passiert war.
    In Eile.
    Keine Kopie.
    Matthias überlief es kalt.
    Dabei wirkte die Schrift so frisch, als müßte Matthias sich vorsehen, um sie nicht selbst zu verwischen.
    Aber Matthias wagte nicht, die Buchstaben zu berühren. Er tippte nur ganz vorsichtig mit der Spitze seines Zeigefingers auf den Rand des Blattes. Zum ersten Mal in seinem langen Leben als Gelehrter kam ihm zu Bewußtsein, daß er die Worte bis jetzt stets in heutiger Inselsprache studiert hatte, nie in Alter Sprache.
    Er kam sich wie ein Narr vor.
    Es war doch so offensichtlich.
    Natürlich hatte Matthias gewußt, daß es sich bei den Exemplaren der Worte, die er kannte, um Kopien handelte. Aber er hatte sich nicht klargemacht, daß jede Veränderung der Sprache, selbst wenn der Übergang fließend war, auch eine Veränderung des Inhalts mit sich brachte. Das hätte gerade ihm, der beide Sprachen, die alte und die neue, beherrschte, auffallen müssen.
    Er beugte sich vor und erwartete, die Anfangszeilen in Alter Inselsprache zu lesen, in der sie hätten lauten müssen:
     
    / eral osselg a sail htecul ee furhsO
     
    Damit hatte Matthias so fest gerechnet, daß er ein paar Sekunden brauchte, um zu begreifen, was statt dessen dort stand:
     
    /… enitantsnoC ta/ irtimiD ta/ salohciN ta/ retluoC/ eN
     
    Matthias hielt inne und übersetzte die Zeile Wort für Wort wie ein Schuljunge, aber ihre Bedeutung blieb gleich. Es war nicht der Anfang, den er gewohnt war.
     
    Ich, Coulter, Sohn von Nicholas, Sohn von Dimitri, Sohn von Konstantin, schreibe dies aus freiem Entschluß und mit eigener Hand. Ich weiß, welchen Preis jene Mächte, die mich bedrohen, von mir fordern, und ich will es meinen Söhnen ersparen, ihn zu bezahlen.
    Aber wie es scheint, habe ich einen Pakt mit den Dämonen dieses Ortes geschlossen, und für all die Reichtümer, die sie mir und der Insel geschenkt haben, werde ich bald bezahlen müssen – aber nicht mit meinem eigenen Leben, sondern mit dem Verstand meines Sohnes.
    Nur zu gern würde ich den Lauf des Schicksals ändern, aber das liegt nicht in meiner Macht. Alexander und Matthias, meine Söhne, haben diesen Ort bereits verlassen, und ich kann sie nicht mehr erreichen. Sie haben sich zu einer neuen Erkundung dieser Insel aufgemacht.
    Ich kann nur hoffen, daß sie sich meines Paktes mit den Geistern des Berges entsinnen und sich von ihm fernhalten, wenn sie diese Botschaft erhalten. Mögen sie ihr Leben nach ihrem besten Wissen und Gewissen führen und ihrem eigenen Stern folgen. Mögen sie jene plumpe Verführung zur Macht zurückweisen und statt dessen zu einem Leben zurückkehren, wie wir es vor dem Krieg führten.
    Sollte
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