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Fey 10: Das Seelenglas

Fey 10: Das Seelenglas

Titel: Fey 10: Das Seelenglas
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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hervor. Auch der Zeitpunkt, zu dem dieser Roca lebte, blieb unklar. Tel hatte eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Generationen der Tod des Roca zurücklag, aber auf der Insel richtete sich die Zählung nach dem jeweiligen Religionsführer, dem Rocaan, und Tel hatte erklärt, daß manche dieser Rocaans schon im ersten Jahr ihrer Amtszeit gestorben waren, während andere ihren Posten vierzig Jahre lang bekleidet hatten. Die Fey hatten zwar den Zweiundfünfzigsten Rocaan getötet, aber das hieß noch nicht, daß der Tod des Roca tatsächlich zweiundfünfzig Generationen zurücklag.
    Auch dieser Palast war wohl kaum zweiundfünfzig Generationen alt, obwohl einige der Schwerter so aussahen. Zum ersten Mal, seit er Galinas verlassen hatte, war Rugad mit seiner Weisheit am Ende. Er hatte sich seinerzeit gründlich mit der Geschichte des Kontinents Galinas, seiner Länder und Völker, befaßt. Er wußte auch über die letzten zweihundert Jahre der Vergangenheit der Blauen Insel Bescheid, aber nirgendwo fand er den Schlüssel zu dem Rätsel, das zu lösen für die Fey lebenswichtig war.
    Der Schleier der Zeit schien undurchdringlich.
     
    Der Roca brachte die Feinde an den heiligsten aller Orte und bat Gott, sie zu schlagen. Als Gott nicht antwortete, erwog der Roca, die Feinde selbst zurückzuschlagen, aber dann dachte er: »Würde das nicht bedeuten, daß ich mich Gott überlegen fühle? Denn wenn Gott meiner Bitte nicht nachkommt, kann das nur bedeuten, daß Er in seiner Weisheit einen Grund dafür hat. Ich bin nur ein niedriger Sterblicher, kein Schöpfer. Ich sehe nur meine kleine Insel, sonst nichts. Ich sehe nicht einmal, was auf der anderen Seite des Meeres liegt. Ich kann Gott an diesem Ort nicht sehen und auch nicht die wilden Tiere auf den Bäumen. Ich bin nicht würdig, an Stelle meines Gottes zu entscheiden.«
     
    Manche Einzelheiten dieser Erzählung hielt Rugad für spätere Ausschmückungen. Es hörte sich so an, als habe man die tatsächlichen Ereignisse aus religiösen Gründen zu einer Legende umgedichtet. Rugad hatte gehört, daß so etwas bei vielen Völkern üblich war, obwohl ihm noch nie eine so verworrene Legende zu Gehör gekommen war.
    Hatte es wirklich einen Menschen gegeben, der so gedacht und gehandelt hatte? Und auf welche Weise waren seine Gedanken überliefert worden?
     
    Deshalb befahl der Roca seinen Leuten, sich mit gezückten Schwertern neben ihn zu stellen, die Feinde aber nicht anzugreifen. Und als die Feinde jenem heiligen Ort immer näher kamen, grüßte er sie und bat sie zu warten, bis er sein Schwert gereinigt habe. Er nahm die Wasserflasche eines gefallenen Kameraden und reinigte seine Schwertklinge.
     
    Auf diesen Punkt war Rugad bei seiner Unterredung mit Tel immer wieder zurückgekommen. Das Wasser, mit dem der Roca sein Schwert gereinigt hatte, mußte Weihwasser gewesen sein, jedenfalls nach der Auffassung des Tabernakels. Aber dieses Weihwasser, das bei der ersten Invasion eine ganze Fey-Armee umgebracht hatte, gehörte nicht dem Roca selbst, sondern seinem gefallenen Freund.
    Das verwirrte Rugad.
     
    Während er seine Schwertklinge reinigte, sprach der Roca zu seinen Männern. Er sagte: »Ohne Wasser stirbt der Mensch. Der Leib eines Menschen erzeugt Wasser. Sein Blut besteht aus Wasser. Kinder werden in einem Wasserschwall geboren. Wasser macht uns sauber. Es macht uns gesund. Es hält uns am Leben. Im Wasser sind wir Gott am nächsten.«
     
    Niemand, der sich in Lebensgefahr befand, hielt inne, um das, was er tat, seinen Gefolgsleuten in derartig rätselhaften Worten zu erklären. So jemand hatte keine Zeit, zuerst sein Schwert sorgsam zu reinigen, bevor er es sich in die Eingeweide rammte.
    Stirnrunzelnd starrte Rugad auf die Schwerter an der Wand. Das alles ergab keinen Sinn. So war es ihm schon während des Verhörs mit Tel ergangen.
    Und dann diese seltsame Bemerkung über Wasser: Ohne Wasser stirbt der Mensch. Aber hier auf der Blauen Insel konnte ebenjenes Wasser Menschen töten.
    Jedenfalls, wenn es sich um Fey handelte.
    Nichts in der Überlieferung erklärte dieses Phänomen. Wenn Weihwasser den Feind tötete, warum hatte der große Roca seine Widersacher dann nicht einfach mit Wasser überschüttet?
    Rugad stieß einen leisen Fluch aus. Er verabscheute die Inselmagie. Sie beruhte auf Spitzfindigkeiten und Verleugnung. Die Fey hatten ihre magischen Fähigkeiten freudig begrüßt und waren stolz auf sie. Die Inselbewohner dagegen hatten ihre
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