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Fey 10: Das Seelenglas

Fey 10: Das Seelenglas

Titel: Fey 10: Das Seelenglas
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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Zauberkraft unterdrückt, ihre Überlieferung verschlüsselt und jede Handlung mit einer Bedeutung überfrachtet, die kein Mensch zu begreifen schien.
    Rugad trat wieder an die bis zum Boden reichenden Fenster. Das blasige Glas warf das Licht zurück.
    Er ging die Zeremonie der Aufnahme weiter in Gedanken durch und hoffte, daß seine dumpfen Ahnungen sich in klare Gedanken verwandelten. Es gab so vieles, was er nicht verstand.
     
    Aber seine Männer widersprachen: »Heiliger Herr, wenn ein Mensch zu lange im Wasser bleibt, stirbt er.«
     
    Wasser konnte also den Tod bedeuten, aber die Rede war nicht von Weihwasser, sondern vom Ertrinken. Soweit Rugad die Wirkung des Weihwassers bis jetzt begriffen hatte, konnte schon ein einziger Tropfen tödlich sein. Insofern konnte man durchaus sagen, ein Mensch könne nicht »zu lange im Wasser bleiben«.
     
    Aber der Roca blickte sie alle betrübt an. »Ein Mensch stirbt nur, wenn er nicht rein genug ist, um Gott zu Füßen zu sitzen. Wer das Wasser berührt«, sprach er zu ihnen allen, »berührt Gottes Innerstes Wesen.«
     
    Das war der Schlüsselsatz. Hier war ganz offen die Rede von Magie. Trotzdem verstand Rugad den Satz nicht ganz. Nach Meinung der Inselbewohner waren die Fey also nicht rein genug, um Gott zu Füßen zu sitzen. Trotzdem war ihr Roca durch ein mit Wasser benetztes Schwert gestorben.
    War er selbst nicht rein genug gewesen?
    Die Inselbewohner sprachen davon, daß er in Gottes Hand aufgenommen wurde, nicht, daß er Gott zu Füßen saß.
    War das ein entscheidender Unterschied?
    Rugad spürte einen leichten Druck zwischen den Augen. Es war alles so gräßlich verworren. Er würde Tel samt seinen Berichten den Hütern des Zaubers überlassen und abwarten, ob diese etwas mit ihm anfangen konnten.
    Die Hüter sollten ihr Augenmerk vor allem auf jenen letzten Satz richten: Wer das Wasser berührt, berührt Gottes Innerstes Wesen.
    Gottes Innerstes Wesen.
    War Wasser gleichbedeutend mit Macht? Und falls ja, mit welcher Macht? Bezog sich der Satz auf jede Art von Wasser oder nur auf eine bestimmte? War es ein Denkfehler anzunehmen, daß die Rede von Weihwasser war?
    Rugad wußte keine Antwort darauf. Das war ja gerade das Problem. Er brauchte diese Antwort so dringend.
    Tel hatte behauptet, mit diesem Satz endeten die wörtlich zitierten Äußerungen des Roca. Alles übrige sei viele Jahre später von irgendeinem Rocaan angefügt worden. Aber Tel wußte nicht, von welchem Rocaan oder aus welcher Zeit die Schlußworte stammten:
     
    Wir dulden auf dieser Insel keine Feinde. Der Roca hat uns vor jeglicher Bedrohung beschützt. Wir sterben nicht durch das Schwert. Wir leben durch das Schwert.
     
    Das Schwert des Schwarzkittels hatte die Fey ebenso wirksam getötet wie früher das Weihwasser. Der Gottesdienst nahm sowohl auf Wasser als auf das Schwert Bezug, und Rugad wußte inzwischen, daß beides magische Eigenschaften besitzen konnte.
    Wie viele andere magische Gegenstände wurden wohl noch im Verlauf des Gottesdienstes erwähnt, die Rugad noch gar nicht als solche identifiziert hatte? Oder in anderen Zeremonien, über die er bis jetzt noch gar nicht nachgedacht hatte?
    Ohne sich vom Fenster abzuwenden, schnippte Rugad mit den Fingern. Ein Wachtposten erschien an seiner Seite.
    »Richte Landre aus, er und seine Hüter sollen zu mir kommen«, befahl Rugad.
    Der Mann nickte und ging. Vielleicht konnten die Hüter dieses verzwickte Problem lösen. Sie beschäftigten sich viel theoretischer mit Magie, als Rugad es gewohnt war.
    Er erkannte zwar die Sätze, die auf Magie anspielten, aber er konnte sie nicht deuten.
    Hoffentlich hatten die Hüter mehr Erfolg.
    Die Zeit drängte.

 
3
     
     
    Sehr weit waren sie nicht gekommen.
    Luke lag mit dem Gesicht nach unten in einem Maisfeld. Die Erde roch lehmig und fruchtbar, und über ihm raschelten leise die Blätter.
    Con lag in der nächsten Maisreihe mit dem Kopf in die entgegengesetzte Richtung. Er drehte das Gesicht von einer Seite auf die andere und spähte angestrengt, aber keiner von beiden wagte es, den Kopf zu heben. Nicht noch einmal. Das eine Mal hatte gereicht.
    Con hatte den Vogelschwarm, der von Norden kommend den Himmel verdüsterte, zuerst entdeckt. Er hatte mit dem Finger darauf gezeigt, und Luke war fast das Herz stehengeblieben. Sie hockten hinter dem verfallenen Schornstein, fremden Blicken schutzlos ausgeliefert, und konnten nirgendwohin fliehen. Sobald der Schwarm direkt über ihnen war, würden die
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