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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser
Autoren: Paul Lascaux
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sich für allgemeine Umweltziele ein und bewies deren Notwendigkeit mit einer Tabelle, welche den Rückgang der Gletscher dokumentierte. Der Triftgletscher im Grimselgebiet hatte seit Messbeginn 1861 ein Drittel seiner Länge eingebüßt. Deshalb hatte man über die Schlucht, aus der sich die Gletscherzunge zurückgezogen hatte, eine Hängebrücke mit 102 Metern Spannweite gebaut. Bei anderen Gletschern waren die Bewegungen weniger ausgeprägt, der Schwund jedoch überall markant.
    Eine nächste Seite dokumentierte das Vorhaben der KWO Kraftwerke Oberhasli , die Mauer des Grimselstausees massiv zu erhöhen, um die Energieproduktion zu steigern. Dass die Baubewilligung vom Berner Verwaltungsgericht aufgehoben worden war, schrieb sich die Aktionsgruppe als Erfolg zu.
    Die nächste Aktion galt den missgebildeten Felchen in Brienzer- und Thunersee. Seit 2000 fand man dort bis zu 40 Prozent der Fische mit veränderten Geschlechtsorganen vor. Als Verursacher ortete die AFBO Munitionsrückstände aus Armeeaktivitäten, die auch die neue, 17 Kilometer lange Erdgasleitung durch den Thunersee und mit ihr die Bevölkerung am Ufer gefährdeten.
    Heinrich Müller fand die Sammlung der Daten interessant, aber wirklich Neues war bisher nicht dabei. Das Selbstverständnis der Gruppe wirkte etwas unbeholfen, berief sie sich doch auf den Kanton Berner Oberland, den es zur Zeit der Helvetik (1798-1803) gegeben hatte, als die französischen Truppen die alte Eidgenossenschaft besetzt und neu aufgeteilt hatten. Letztlich aber waren die fremden Soldaten mehr an Beute interessiert gewesen als am Wohl der Oberländer Bevölkerung: Sie nahmen bei ihrem Abzug die Bären aus dem Berner Bärengraben mit, das Wappentier der Stadt, und demütigten die »Gnädigen Herren von Bern« noch mehr, indem sie den Staatsschatz raubten. Mit diesem Geld finanzierte Napoleon später seinen Ägyptenfeldzug.
    Müller stieß noch auf eine weitere Seite, die von der Gestaltung her nicht fertig geworden war. Entweder hatte man zu wenig Konkretes gefunden, oder sie war älteren Datums und man hatte sich nicht weiter darum gekümmert. Der Detektiv jedoch verspannte sich vor Aufregung. Denn hier wurde ein Projekt vorgestellt, von dem er noch nie gehört hatte: Das Justistal sollte durch eine Staumauer oberhalb der Grönhütte abgeschlossen und in einen Pumpspeicherstausee verwandelt werden. Das bedeutete, dass nicht nur Strom produziert werden konnte, wenn das Wasser durch den Druckwasserstollen hinunter in die Turbinen schoss, sondern es wurde durch Pumpen wieder ins Rückhaltebecken hochbefördert.
    Aber ein Stausee im Justistal , überlegte Müller. Davon hätte er doch hören müssen. Das hätte doch einen Aufschrei der Bevölkerung provoziert. Warum nur lag das Projekt so versteckt?
    Morgen war dringend ein Termin bei den Eidgenössischen Kraftwerken EKW fällig.

    Nach dem Abendessen übernahm Nicole Himmel die Bedienung der Leute, die an der Bar oder unter der Pergola saßen. Heinrich Müller und Leonie Kaltenrieder fanden Zeit für einen gemeinsamen Spaziergang der sie durchs Breitenrainquartier bis zum Rosengarten brachte, dann den Aargauerstalden hinunter zum Bärengraben, einer Sandsteineinfriedung, die nun ausgebaut wurde. Der ganze Hang hinunter an die Aare würde den Bären gehören, und sie könnten sogar ein Flussbad nehmen, wenn die Schaulustigen sie dabei nicht störten.
    Heinrich und Leonie schlenderten weiter durch die Englischen Anlagen zum Schwellenmätteli.
    »Wasser ist ein freundliches Element«, erklärte Müller. »Die samtweiche Masse verschlingt alles, trägt aber den Schwimmer durch die Fluten der Aare. Wasser bewegt die Kiesel im Flussbett, die ein unablässiges Rauschen erzeugen. Und plötzlich, unter der hohen Eisenbahnbrücke, wird der Fluss still, das Wasser schweigt, es wird spiegelglatt, neben der atemlosen Ruhe kommt eine sanfte Furcht vor der endgültigen Geborgenheit der Tiefe auf, vor dem letzten Absinken in Undines Reich. Aber dann kräuselt ein leiser Wind ein paar Wellen ins graugrüne Nass, erweckt es erneut zum Leben und beruhigt die düsteren Ahnungen. Die letzten Geräusche, die der Schwimmer selber erzeugt, weichen der Demut vor dem trägen Strom und bringen ihn mit kräftigen Zügen sicher ans Ufer zurück.«
    »Wenn ich ins Wasser steige, nackt, hilft es mir bei meinen schwarzen Gedanken«, sagte Leonie. »Man weiß, was geschieht, wenn jemand freiwillig ›ins Wasser geht‹, wenn die Person nicht schwimmen kann
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