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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau
Autoren: Federica de Cesco
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von aufrichtigem Idealismus.
    Martin war mir aufgefallen, weil er fast zwei Meter groß war und einen Trenchcoat in der gleichen blauen Farbe wie meiner trug. Er wirkte trotz seiner Körpergröße schüchtern. Mir wurde erst später klar, daß er diese Eigenschaft sehr bewußt kultivierte. Es war eine Pose: Er hatte Erfolg gehabt und fühlte sich gezwungen, Bescheidenheit vorzutäuschen, aus Angst, sein Ehrgeiz könnte entdeckt werden. Er gab sich zurückhaltend, wenn auch salopp, und hielt seinen Noilly-Prat wie ein Schuljunge auf der ersten Party. Sein gedehntes Französisch hörte sich angenehm an, er sprach es mit dem weichen Singsang der Amerikaner. Er erzählte mir, daß
    »National Geographie« seine Reportage über die Geburt einer vulkanischen Insel vor der kolumbianischen Küste gebracht hatte. Eine prestigeträchtige Veröffentlichung, die ihm viel Neid eingetragen hatte.
    »Fotoreporter leben von Rivalität. Sie schnappen sich gegenseitig die Aufträge weg, haben immer Angst, daß sie zu spät kommen. Sie nehmen erfolgreiches Bildmaterial unter die Lupe, kopieren Motiv, Einstellung und Belichtung und verkünden: ›Ich mache die besseren Fotos!‹ Sie mögen mich jetzt für naiv halten, aber mich hat es betroffen gemacht, so viele saure Gesichter zu sehen.«
    Als Frau hatte ich zuviel akuten Größenwahn unter Kollegen angetroffen, um mich an dieser Krankheit zu stoßen. Außerdem hatte ich noch nicht gemerkt, daß Martin sich verstellte.
    »Sie werden Ihnen den Erfolg noch lange übelnehmen. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wenn ein Vulkan rumort, werden sie Ihnen kaum in das Sperrgebiet folgen.«
    Die Party war langweilig; wir verließen frühzeitig das Gedränge und aßen einen Spinatkuchen in einer kleinen Weinstube in der nie Beaubourg.
    Wir tranken dazu Rotwein.
    »Als ich zum ersten Mal nach Frankreich kam«, erzählte Martin, »habe ich in einem nichtssagenden Lokal meine erste Quiche gegessen, mit duftenden Zwiebeln und geräuchertem Speck gefüllt. Ein ganz einfaches Gericht, keine Kreation der Nouvelle Cuisine, doch ist mir diese Quiche unter den vielen Gerichten, die ich gegessen hatte, am stärksten in Erinnerung geblieben. Sie war Ausdruck einer Kultur.«
    Ich fand ihn nett. Er war beweglich und gut gebaut, obwohl er – wie manche Amerikaner – zu breiten Hüften neigte. Und er lächelte, wobei er eine Wangenseite höher zog als die andere. Er hatte eine Narbe, kaum haaresbreit, genau in der linken Lachfalte; als kleiner Junge hatte er sich mit dem Rasiermesser seines Vaters geschnitten. Martin lächelte selten, und das war schade; es stand ihm gut. Er fragte mich, ob ich gerne kochen würde. Ich schüttelte amüsiert den Kopf.
    »Mein Vater ist Italiener und liebt gutes Essen. Aber ich koche selten.
    Ich habe keine Geduld für solche Dinge. Und Sie?«
    »Doch«, sagte er langsam. »Ich glaube, ich bin ein guter Koch.«
    Er betrachtete mich intensiv. Seine Augen waren saphirblau und sehr glänzend.
    »Sind Sie verheiratet?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nein. Und Sie?«
    Martin zeigte sein flüchtiges Lächeln.
    »Ich bin geschieden.«
    Er erzählte mir von den zwei Jahren seines Lebens, in denen er mit einer Kommilitonin verheiratet gewesen war.
    »Wir waren beide zwanzig. Aber Karen sah unsere Beziehung unter dem Blickpunkt der Konkurrenz. Schließlich merkte ich, um wieviel leichter das Leben wird, wenn man Frauen trifft, die nicht das gleiche College besucht haben.«
    Ich lachte.
    »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
    Martin bestritt, irgendeiner Tiefgründigkeit nachspüren zu wollen. Die visionäre Schönheit seiner Bilder führte er auf das rein Ästhetische zurück.
    »Ich komponiere meine Fotos wie ein Maler sein Bild, wobei ich das Reale durch Farbakzente emotional unterstütze. Natürlich fordert diese Formulierung Präzision. Und am Rande eines glühenden Kraters erreicht die physische Belastung oft die Grenzen des Erträglichen.«
    Im Geist tastete ich mich behutsam an ihn heran. Er bemühte sich, mir einen Eindruck von distanzierter Sachlichkeit zu geben. Ich glaubte ihm nicht ganz. Er kam mir zwieschichtig vor, mit einem verdoppelten Ich.
    Gewisse Vorstellungen ließ er im dunkeln verborgen und befaßte sich lieber mit Fakten. Bei mir gehen Denken und Handeln, Gefühle und Wahrnehmungen unbefangen ineinander über. Und weil ich auf Intuitionen empfindsam reagiere, mehr auf den Herzschlag höre als auf den Verstand, war ich in Martins Augen keine richtige Forscherin.
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