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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau
Autoren: Federica de Cesco
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das Dorf hinwegzogen. Die Sonnenscheibe darin war nur ein kreisrunder weißer Fleck. Jener Teil des Himmels, hoch über den Wolken, war still und klar und ohne feste Substanz. Aber der untere Teil des Himmels, der tief über den Bergen hing, barg Sturm, Donner, Hagel und Schnee. Schwefelgelbe, fast grünliche Wolken schoben sich über die Hügel, wirbelten umeinander und wurden dunkler. Als Fabrizio mit dem Traktor durch das große Tor fuhr, nahm der Wind plötzlich zu. Die schwarze Dogge Cesare – die Fabrizio manchmal II Duce nannte – sprang ihm bellend entgegen. Fabrizio fuhr den Traktor vor die Scheune, sprang von seinem Sitz und klatschte Cesare auf das nasse Fell. Schweißtropfen, mit Staub vermischt, klebten auf seinem hageren Gesicht.
    »So ein Himmel!« sagte er zu mir.
    Ich starrte zu den Wolken empor, pfiff unmelodisch und nervös zwischen den Zähnen. Fabrizio stapfte in die Küche, und Cesare lief hechelnd neben ihm her. Maria schlug den Teig zusammen, rollte ihn unermüdlich wieder aus, bis an den dünnsten Stellen das Licht durchschimmerte.
    »Du bist früh da«, sagte sie. »Du machst dir wohl Gedanken.«
    Fabrizio holte Bier aus dem Kühlschrank.
    »Ich habe ein besseres Gefühl, wenn ich zu Hause bin.«
    Er öffnete mit leisem Knall die Bierbüchse und trank. Maria wischte sich mit den Handrücken über die Stirn.
    »Gerade habe ich den Wetterbericht gehört. Sie haben gesagt, daß es heute Nacht etwas gibt.«
    Es wurde eine Nacht voller Beunruhigung und Schrecken. Eine Nacht, in der du hättest sterben sollen, Nonna. Dein Tod trat nicht ein, weil ich es nicht wollte. Weil ich unerschrocken und neugierig war, wie kleine Mädchen es sind. Weil ich bestimmte Dinge aus dem Instinkt heraus machte. Und keine Schmerzen empfand, als das Entscheidende geschah. Es ist eine merkwürdige Geschichte, nicht wahr? Und danach war ich mehrere Tage außerstande, von dem zu erzählen, was geschehen war. Das, was in den Zeitungen stand, entsprach nicht im geringsten der Wahrheit. Es ist übersehen worden, daß ich ja nur zehn Jahre alt war. Ich glaube, man kann es auf verschiedene Weise erklären. Vielleicht lag es an meinem Erbgut und entsprach meiner Bestimmung – aber davon hatte mich niemand in Kenntnis gesetzt, auch du nicht. Ich gebe mir Mühe zu verstehen, aber ich merke oft, daß mich meine Phantasie zum Narren hält. Vielleicht sollte ich nicht zuviel darüber nachdenken. Verzeih mir.
    Was sagst du, Nonna, wer bin ich?
    Nonna lebte noch fünfzehn Jahre, sieben davon im Rollstuhl. Sie litt an Osteoporose. Die Krankheit fraß sich durch ihre Knochen, zersplitterte ihre Wirbel bis zum Hals. Operieren konnte man sie nicht mehr.
    »Piccina, setz dich zu mir und erzähl mir was Neues«, sagte sie mit ihrer brüchigen Stimme, wenn ich sie in Mailand im Altersheim besuchte. Sie drückte meine Hände, wie alte Menschen es zu tun pflegen, als ob sie sich der Lebenskraft der Jüngeren versichern wollten. Ihre Vorwürfe klangen zärtlich und ironisch:
    »Ich bin eine alte Frau, du denkst nicht mehr an mich. Ich weiß ja, du hast Besseres zu tun. Aber ich langweile mich so!« Sie sang vor sich hin:
    »A la feria de l’est…« und wiegte den Kopf, langsam und unbeholfen, als ob das Gewicht zu schwer für ihr schmales Genick wurde.
    Ich war nicht bei ihr, als sie starb, aber den Augenblick habe ich genau gefühlt.
    Auch Fabrizio ist tot: ein Unfall auf der Autobahn. Maria lebt bei ihrem Bruder in Udine und führt ihm den Haushalt. Sie schickt mir einmal im Jahr eine kitschige Weihnachtskarte.
    Über diese Sache, damals, hat sie nie mehr gesprochen.

1. KAPITEL

    G eisterhaftes Licht zuckte durch die Dunkelheit. Ein Donnerschlag zerriß die Nacht, fegte über die Dächer. Es folgte das Prasseln eines Regenschauers. Ich erwachte und blinzelte verwirrt; das ganze Zimmer war von der Helle der Blitze erleuchtet. Die Donnerschläge entluden sich in wütendem Widerhall. Das Gewitter hatte sich aus meinem Traum in die Wirklichkeit verlagert. Als eine Stille von wenigen Sekunden eintrat, hörte ich Martin atmen. Ich warf die Decke zurück, meine nackten Füße berührten den Boden. Ich stand auf, trat dicht an das Fenster. Zuerst konnte ich nichts Deutliches sehen, wegen dem Tropfennetz, das zitternd an der Scheibe klebte. Ich wischte mit der Hand über das Glas. Der Sturm jagte die schweren Wolken wie Fetzen am Nachthimmel dahin; zuweilen öffnete sich ein Loch in dieser Finsternis, und ich erblickte flüchtig ein paar klare,
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