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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau
Autoren: Federica de Cesco
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Aber darüber redeten wir erst später.
    Martin wohnte bei einer befreundeten amerikanischen Familie in Chaillot, da er – wie er sagte – nicht gerne auf längere Zeit im Hotel lebte.
    Meine dürftig eingerichtete Zweizimmerwohnung mit den Möbeln aus Rohrgeflecht gefiel ihm. Außer einem flachen japanischen Bett und einem alten Schrank vom Flohmarkt besaß ich nur ein vollgestopftes Bücherregal und eine Stereoanlage. Vor dem Fenster stand mein Arbeitstisch mit dem Computer. Ein Tisch mit vier Stühlen nahm in der altertümlichen Küche fast den ganzen Platz ein. Das Badezimmer verfügte über eine Wanne auf Füßen und ein riesiges Lavabo mit einem Wasserhahn aus Messing in Form eines Schwans. Das Museumsstück hatte meine Vorgängerin, eine polnische Musiklehrerin, vor etlichen Jahrzehnten mal montieren lassen.
    Martin wirkte sehr belustigt und besah sich alles ganz genau. Die Wände, früher mit einer gräßlichen Blümchentapete überzogen, hatte ich weiß gestrichen. An einer Wand hing ein großes Ölbild: Aus violetter Dunkelheit schoß eine Säule empor, goldgesprenkelt, lichtdurchströmt, je nach Beleuchtung orangerot oder grünlich schimmernd. Das Bild hieß
    »Sonnenaufgang« und trug den Namenszug eines italienischen Künstlers.
    Mein Vater hatte es in einer Ausstellung erworben und mir zum Abitur geschenkt.
    »Interessante Komposition«, meinte Martin. »Warum läßt du sie nicht einrahmen?«
    »Ich bin noch nicht dazu gekommen. Und ich habe auch noch nicht den geeigneten Platz gefunden.«
    »Über dem Bett wäre nicht schlecht«, meinte Martin. »An Stelle dieses Fotos, da. Eine gute Aufnahme übrigens.«
    Er besah sich die Fotografie genauer. Ich sagte nichts. Kein abweisendes Schweigen, aber auch kein gelöstes. Eine leichte Beklemmung war plötzlich da, eine Taubheit, ein Flattern in der Magengrube. Die stark vergrößerte Momentaufnahme, schwarzweiß, war mit Heftzwecken befestigt. Sie zeigte ein Pferd, das durch einen brennenden Reifen sprang.
    Ein gigantischer Rappen, mit anliegenden Ohren und wilden, silbernen Augen. Die nachschleifende Mähne wehte wie Rauch. Es war, als ob die Dunkelheit Gestalt annahm und sich in die Flammen stürzte.
    Martin betrachtete eingehend alle vier Ecken, um die Schärfe der Vergrößerung zu prüfen. Schließlich nickte er anerkennend.
    »Ein Profi hat das vergrößert, soviel ist klar. Fotos sind nur gut, wenn sie eine Geschichte erzählen. Hast du es aufgenommen?«
    »Nein. Ein Freund.«
    Er hob die Brauen und wartete auf eine Erklärung, die ausblieb. Es lag plötzlich eine Spannung in der Luft, wie ein unsichtbares Flügelschlagen, eine Spannung, die er ebenso bemerken mußte wie ich. Oder doch nicht? Er lächelte arglos.
    »Woran denkst du?«
    Schweigen, abgewandtes Profil. Ich ging zum Fenster. Mein Herz schlug, ich handelte wie in einem Abwehrreflex.
    »Komm und sieh dir mal die Aussicht an.«
    »Großartig!«
    Er betrachtete die Schieferdächer unter dem Perlmutthimmel, die Schornsteine, die Mansarden, und legte mir den Arm um die Schultern.
    »Das alte Paris. Eine perfekte Theaterdekoration!«
    »Das siehst du bloß so, weil du aus den Staaten kommst. Hier wird gelebt und gearbeitet. Sobald du das Fenster öffnest, riecht es nach Abfall, Bratöl und Auspuffgas.«
    »Ach du, mit deiner Genauigkeit!«
    Er hatte nur meine Stimme gehört, die Sätze, die Antwort. Die Finte war geglückt, er dachte nicht mehr an die Fotografie. Ich fühlte umgehend Erleichterung. Aber wozu nur? Wozu? Gibt es eine Utopie in der Liebe?
    Einen langen Weg in die Ferne, ohne Ziel? Du und ich, wir sind für so etwas bestimmt. Wir warten aufeinander, du auf mich, ich auf dich. Wir warten, wir warten. Wir leben nur in der Erinnerung; darüber, unsichtbar und erschreckend, wuchert Schmerz.
    Als ich Martin in meine Wohnung kommen ließ, hatte ich keine Ahnung gehabt, ob wir zusammen schlafen würden, und im Grunde glaubte ich eher, es würde nicht dazu kommen. Doch nun umfaßte er meine Hüften, streichelte meinen Oberkörper, zog mich an sich heran. Seine Lippen suchten meinen Mund. Ich spielte stumm mit, verschränkte meine Hände hinter seinem Rücken und erwiderte den Kuß. Gewohnheit und Übung, die funktionierten fehlerfrei. Aber in meinem Kopf flimmerten Bilder, die ich nicht ausschalten konnte.
    Etwas war an mir, das Martin fesselte. Oft fühlte ich seinen Blick auf mir – er sah schnell weg, wenn ich ihn dann anblickte –, und in seinen Augen standen eine seltsame
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