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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut
Autoren: James Rollins
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vorbei.
    Offenbar hatten sie seinen Vater geweckt, denn er hob auf einmal den Arm. Langsam schlug er die Augen auf, blinzelte mehrmals und räusperte sich. Es dauerte eine Weile, bis er sich im Zimmer orientiert und Seichan von oben bis unten gemustert hatte. Genau genommen verweilte sein Blick sogar eine ganze Weile auf ihr.
    »Seichan, nicht wahr?«, sagte er mit rauer Stimme.
    »Stimmt.« Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.
    Gray wunderte sich immer darüber, was sein Vater im Gedächtnis behielt und was nicht.
    Sein Vater richtete seinen trüben Blick auf Gray. »Wo ist deine Mutter?«
    Gray atmete tief durch. Im Gesicht seines Vaters spiegelten sich Verwirrung und Angst wider. Hoffnung wallte in ihm auf und zerstob.
    »Dad … Mom ist …«
    Anstatt zu gehen, trat Seichan zwischen Gray und dessen Vater. Sie drückte dem alten Mann die Hand. »Sie kommt später. Sie braucht etwas Ruhe, außerdem will sie zum Friseur.«
    Sein Vater nickte und lehnte sich zurück, die ängstliche Besorgnis verflog aus seinem Gesicht. »Gut. Sie mutet sich immer zu viel zu, die Gute.«
    Seichan tätschelte ihm die Hand, sah Gray an und nickte zur Tür hin. Dann richtete sie sich auf, verabschiedete sich und zog Gray mit auf den Flur.
    »Wo bleibt das Frühstück?«, rief sein Vater ihnen nach.
    »Kommt gleich«, antwortete ihm Gray und ließ die Tür hinter sich zufallen. Seichan dirigierte ihn in einen stillen Nebenflur.
    »Was sollte das?«, fragte Gray zornig und deutete halbherzig zur Tür des Krankenzimmers, in dem sein Vater lag.
    »Gut für Sie, gut für ihn«, antwortete Seichan und drückte ihn an die Wand. »Sie bestrafen sich selbst und quälen ihn. Das hat er nicht verdient – und Sie auch nicht, Gray. Ich habe mich ein wenig schlaugemacht. Er braucht Zeit, um das zu verarbeiten. Hören Sie auf, es ihm ständig unter die Nase zu reiben.«
    Gray setzte zu einer Entgegnung an.
    »Verstehen Sie denn nicht, Gray? Er weiß es. Das Wissen ist irgendwo versteckt, wo es ihm nicht wehtun kann. Er braucht Zeit.«
    Gray sah das ängstliche Gesicht seines Vaters vor sich. So hatte er jeden Morgen dreingeschaut. Nicht einmal die Erleichterung gerade eben hatte diese Angst vollständig auslöschen können. In seinem Blick hielt sich hartnäckig ein Rest von Angst.
    Er fuhr sich verunsichert über das verstoppelte Gesicht.
    Seichan zog seinen Arm herunter. »Manchmal sind Selbsttäuschungen eine gute Sache, eine notwendige Sache.«
    Er schluckte mühsam, versuchte, sich damit abzufinden. Er war ein Kämpfer, genau wie sein Vater. Was man nicht mit schwieliger Hand packen konnte, war ihm suspekt. In diesem Moment zirpte das Handy in seiner Tasche und verschaffte ihm eine Atempause.
    Unbeholfen holte er es hervor, klappte es auf und sah, dass er eine SMS bekommen hatte. Die Nummer des Absenders war unterdrückt. Der Inhalt der Nachricht aber ließ keinen Zweifel an der Identität ihres Verfassers.
    DAS HABEN WIR NICHT GEWOLLT.
     
    Die Nachricht traf ihn wie ein Tiefschlag. Sein Zittern wurde stärker. Er rutschte an der Wand hinunter, sein Gesichtsfeld verengte sich. Alle widerstreitenden Gefühle flammten in seinem Innern für einen Moment auf, dann fielen sie in sich zusammen wie ein erlöschender Stern, der sich in glühend heiße, dichte Asche verwandelt. Ihm wurde ganz kalt, und er fühlte sich leer und ausgebrannt.
    Seichan ließ sich neben ihm zu Boden gleiten und sah ihm aus nächster Nähe in die Augen. Sie hatte die SMS ebenfalls gelesen.
    Sie verlieh seinem Gefühl Worte. »Ich helfe dir. Ich werde alles tun, um sie aufzuspüren.«
    Er schaute in ihre goldgesprenkelten smaragdgrünen Augen. Ihre Handflächen brannten auf seinen Wangen. Die Wärme breitete sich in die kalte Leere in seinem Innern aus. Er legte die Hände um ihr Gesicht und zog sie an sich heran, bis sich ihre Lippen berührten.
    Er küsste sie. Er brauchte sie.
    Zunächst sträubte sie sich, ihre Lippen blieben geschlossen, angespannt.
    Dann wurden sie weicher und teilten sich.
    Sie brauchten einander.
    Aber würde das von Dauer sein – oder war es nur eine flüchtige Anwandlung?
    Gray war es egal.
    Im Moment war es gut so, wie es war.
11:45
San Rafael Swell, Utah
    Es tat so gut, wieder daheim zu sein … und die Gespenster abzuschütteln, die sie plagten.
    Kai Quocheets stand auf der Veranda des Pueblos, und die Sonne brannte auf den Canyon und das Ödland des San Rafael Swell nieder. Windhosen tanzten durch die Schluchten und Klüfte. Es roch nach
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