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Feueraugen I. Das Dorf

Feueraugen I. Das Dorf

Titel: Feueraugen I. Das Dorf
Autoren: Alexander Zeram
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unmöglich.
    Inzwischen hat Marlène endlich erraten, was Ricci gesehen haben will. Sie wendet sich mit einem gewinnenden Lächeln an den Motorradfahrer.
    "Sagen sie, mon cher ... was erwartet sich Monsieur Baldwin eigentlich von diesem mysteriösen Schloss?" fragt sie. Sofort sind auch alle anderen voll bei der Sache. Erwartungsvoll sehen sie Rodolphe an. Der steckt sich gelassen seine Pfeife an und schmunzelt dazu.
    "Was er sich erwartet, weiß ich nicht!" erwidert er dann. "Aber ich erwarte mir einiges."
    "Soso!" der Signore hat die Arme über seinem imposanten Bauch verschränkt. Jetzt mustert er Rodolphe genau. "Und was erwarten Sie sich?"
    "Ja - was?" drängt Michel.
    "Schloss Rachass muss ein sehr interessanter Ort sein, wenn sich Rodolphe etwas davon verspricht!" meint der Signore.
    "Giorgio, ich bin überzeugt, dass hier etwas faul ist. Baldwin hat uns irgendwas verschwiegen. Maledetto!" schimpft Ricci.
    "Bella donna ... was meinen sie?" der Signore tätschelt dabei Marlènes Knie.
    "Oh, uns hat er ebenfalls fast nichts verraten!" erklärt Marlène, die zusammen mit Michel und Dr. Glücklich als Erste in Antwerpen angekommen war. "Und hören Sie auf mein Knie zu streicheln, Signore. Das ... ça me gène!"
    Dr. Glücklich lacht amüsiert auf. Schon seit Längerem beobachtet er im Rückspiegel die Annäherungsversuche der beiden Italiener. Jeden findet er auf seine Weise lächerlich. Allerdings ist ihm nicht aufgefallen, wie Marlène dem Beifahrer immer wieder zublinzelt. Michel jedenfalls wartet nur darauf, dass Dr. Glücklich und die schöne Französin endlich Plätze tauschen würden.
    "Sie wissen auch nicht mehr?" forscht Ricci.
    "Kaum! Baldwin hat mir ein paar Hinweise gegeben - wegen den Kulissen für den neuen Film vor allem!"
    "... Film?" kommt es fünfstimmig in vier Sprachakzenten aus dem Wageninnern.
    "Hat er das nicht erwähnt?" Rodolphe kann sich nur wundern. "Er wollte an Ort und Stelle drehen. Eine aufsehenerregende Dokumentation über den legendären 'Feueraugen-Orden'."
    "Über wen?" Ricci schnellt nach vorne - seine Stimme hat sich überschlagen. "Was sagen Sie da, caro Rodolfo?"
    "Den 'Feueraugen-Orden' meine ich. Hat der Chef nichts von diesen 'Anarchisten' erzählt?"
    "Anarchisten?"
    "Der Chef nennt die Ordensbrüder einen Zusammenschluss von Weltverbesserern, Idealisten oder auch Weltverächtern. Egal, er ist sich sowieso nicht ganz sicher, ob es wirklich noch Überlebende des Ordens gibt. Ach, fragt ihn doch selbst. Jetzt sind wir ja alle hier – da sollte auch jeder Bescheid wissen."
    "A gute Nacht, sog ich nur. Dos is a scheene Bescherung!" brummelt Dr. Glücklich. "Und wie's tut ausschau'n, drieben schlafen se schon."
    Alle sehen nach links - hinüber zum Wagen Baldwins. Im Mercedes rührt sich nichts mehr. Mehr als einen Schatten erkennen sie ohnehin nicht.
    "Morgen werde ich diesem Menschen, diesem ... diavolo ... meine Meinung sagen. Uns einfach anzuschwindeln. Das ist eine Frechheit!" knurrt Ricci in sich hinein.
    "Das sieht ihm ähnlich!" Rodolphe lacht auf. "Erst loslegen ... Erklärungen folgen später. Haha ... Recht so! Hat es nicht für nötig gehalten. Macht Euch nichts draus. Morgen ist auch noch 'n Tag und da kann jeder fragen, soviel er will. Bis dann!"
    Rodolphe wendet sich ab und ist schon in der Dunkelheit verschwunden, bevor man ihm noch weitere Fragen hätte stellen können.
    "A scheene Bescherung!" wiederholt Dr. Glücklich. "Aber er leift uns jo nich davon. Morgen kennen wir ihm fragen, was er uns noch hot verschwiegen, der Bursche, der teiflige!"
    Kurz darauf tauschen Marlène und der Arzt die Plätze miteinander.
    Ein allzu frecher Annäherungsversuch Riccis hat eine schmerzhafte Ohrfeige zur Folge gehabt. Jetzt ist Marlène bedient. Sie zieht die Nachbarschaft Michels ohnehin jeder anderen vor. Der Landsmann sieht blendend aus, sein Charme hat sie obendrein nicht zum ersten Mal beeindruckt.
     
    *         *         *
     
     
     
    Rodolphe hat eben seine vierte Pfeife zu Ende geraucht. Es herrscht völlige Stille um ihn herum und die Dunkelheit hat längst jeden auch noch so vagen Schatten der beiden Wagen verschluckt.
    Murrend packt Rodolphe seinen Schlafsack aus. Er weiß, dass er kaum schlafen wird, aber versuchen möchte er es dennoch.
    Wie er den Reißverschluss des Schlafsackes schließen will, stellt er fest, dass dieser klemmt. Er zerrt und rüttelt, bis schließlich mit einem kurzen Knacken das Zugstück abgebrochen ist.
    Fluchend
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