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Feueratem

Feueratem

Titel: Feueratem
Autoren: Tanja Kinkel
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nicht hoffen, dass du dergleichen Gedanken äußerst, wenn du bei ihm bist.“
    „Ich glaube nicht, dass er mich überhaupt hört“, gab Teres zurück. „Er sagt nie etwas.“
    Dass der Drache sprechen konnte, wusste sie, weil es die Mitglieder des Clans gelegentlich erwähnten; sie selbst hatte seine Stimme noch kein einziges Mal gehört. Wahrscheinlich ist er selbst dafür zu faul, dachte sie.
    „Er spricht zu denen, die er für würdig befindet“, sagte ihre Mutter.
    „Und wie viele Male muss man Vogeldreck von ihm abkratzen, bevor man würdig wird?“, fragte Teres laut, was Vetter Guso zum Lachen brachte. Teres’ Vater gab ihm einen sanften Klaps auf den Kopf.
    „Anis hat ihn auch noch nie gehört!“, setzte Teres schnell hinterher und warf ihrer Schwester einen herausfordernden Blick zu. Diese senkte beschämt den Kopf.
    „Es liegt in seinem Ermessen“, sagte ihre Mutter ruhig. „Und Anis wird bald heiraten.“
    Teres fragte sich, ob dies ein Trost für ihre Schwester sein sollte; der Vetter, der vor einigen Wochen mit Anis verlobt worden war, schien ihr kein rechter Grund zu sein, sich auf das Gelöbnis zu freuen. Doch nun gab es wichtigere Fragen, auf die sie eine Antwort verlangen wollte. „Wenn er nicht mit uns spricht, warum müssen wir dann mit ihm sprechen?“
    „Weil es sich so gehört“, sagte ihre Mutter bestimmt und brachte ihr dann bei, sich das Haar mit Bändern zu flechten.
    „Das ist hübsch“, freute das Mädchen sich, als es sich im Spiegel betrachtete. Und dabei wusste sie doch, dass es vor allem dazu dienen sollte, dass ihr die Haare nicht ins Gesicht fielen, wenn sie auf dem Drachen herumkletterte.

Kapitel 2
    Teres stand kurz vor ihrem 15. Geburtstag, als sie sich nicht mehr mit den ebenso beschwichtigenden wie keine Widerrede zulassenden Antworten ihrer Eltern und anderen Clan-Angehörigen abspeisen ließ. Dabei war zuerst gar nicht vom Drachen die Rede gewesen.
    Wie alle Kinder ihres Clans kannte Teres mittlerweile jeden Fußbreit des Berges Dekapa; die karge Gipfelregion, den breiten Streifen Wald, die im Sommer so schönen Lichtungen und im Winter gefährlichen Schluchten. Wenn es etwas gab, was Teres noch mehr zuwider war als ihre Pflichten dem Drachen gegenüber, dann war es zweifellos die Grenzlinie kurz vor dem Fuße des Berges, die sie nicht überschreiten durfte. Es war nur eine einfache Linie aus großen Steinen, nicht einmal eine Mauer, und doch so unüberwindbar, als hätten ihre Vorfahren hier einen echten Wall aufgeschüttet. Traditionellerweise war der Tag, an dem ein Clanmitglied zum ersten Mal hinabsteigen und die Flussmärkte im Tal besuchen durfte, der 15. Geburtstag. Doch Anis war hochschwanger, was für Teres bedeutete, dass sie zusätzlich zu ihren eigenen Pflichten auch die Tage ihrer Schwester in der Drachenhöhle übernehmen musste – und das schloss ihren Geburtstag mit ein.
    „Du wirst eben später zu deinem ersten Flussmarkt gehen“, sagte ihre Mutter begütigend. Der Ort für den wöchentlichen Handel wechselte ständig nach einem komplizierten System; er fand immer an einer anderen Stelle des langgestreckten neutralen Tals statt, weil jeder Clan darauf erpicht war, ihn in seiner Nähe zu haben. Teres wusste, dass es bis zu sieben Wochen dauern würde, bis das bunte Treiben wieder an den Fuß des Berges zurückkehren würde. Selbst wenn es im günstigsten Fall nur einen Monat dauern würde: Teres hatte sich schon so lange auf den Flussmarkt gefreut, dass ihr jeder Aufschub unerträglich erschien. Ein Teil von ihr wusste, dass sie sich keinen Gefallen tat und es wahrscheinlich ohnehin nichts bringen würde, sich zu beschweren. Doch der größere Teil von ihr war mit einer Empörung angefüllt, die sich über Jahre hinweg aufgestaut hatte und endlich bersten wollte.
    „Wenn der Drache einen Tag lang Laub und Dreck zwischen den Schuppen hat, dann fällt ihm das bestimmt überhaupt nicht auf“, rief sie wütend und war versucht, mit dem Fuß aufzustampfen; im letzten Moment erinnerte sie sich, dass sie dafür entschieden zu alt war. „Und überhaupt, was hat er je für mich getan, dass ich ihn sogar an meinem Geburtstag bedienen soll?“
    Ihre Eltern warfen sich einen langen Blick zu. Teres erwartete, aus der Halle fortgeschickt zu werden. Wenn sie Pech hatte, dann war der Flussmarkt für sie soeben in weite Ferne gerückt. Aber sie entschuldigte sich nicht. Sie wollte endlich eine Antwort, einen Grund, den sie verstehen konnte.
    „Ohne den
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