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Feueratem

Feueratem

Titel: Feueratem
Autoren: Tanja Kinkel
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dabei sein dürfen.
    „Wir sind Dekapa“, murmelte sie also mit.
    „Du bist Dekapa.“
    „Du bist Dekapa … Anis, warum muss eigentlich der Drache das nicht selbst sagen?“
    „Weil es sich so gehört“, sagte Anis streng. Als Teres den Mund öffnete, um eine weitere Frage zu stellen, kniff ihre ältere Schwester sie schmerzhaft in die Wange; eine Geste, die Teres von niemandem mochte, und Anis wusste das genau. „Und nun sprich mir nach: Wir sind Dekapa. Du bist Dekapa. Du dienst. Wir kommen, um zu dienen.“
    Mit einer anmutigen Bewegung ließ sie sich auf die Knie sinken – und zog Teres mit einem Ruck ebenfalls auf den Boden. Das Mädchen sah, dass seine große Schwester die Augen geschlossen hatte und stumm die Lippen bewegte; vermutlich wiederholte sie die rituelle Formel noch einmal, was Teres denkbar unlogisch erschien, denn welchen Sinn machte es, wenn niemand – nicht einmal der verdammte Drache – es hören konnte?
    Anis erhob sich wieder. Teres war froh, dem Beispiel folgen zu dürfen, denn der harte Stein hatte unter ihren Knien geschmerzt. Und während sie noch darüber nachdachte, warum man keine Kissen vor die Höhle legte, um das unsinnige Spruch-Aufsagen wenigstens ein bisschen angenehmer zu gestalten, betrat sie an der Hand ihrer Schwester zum ersten Mal die Drachenhöhle.
    Das Erste, was ihr auffiel, war, dass es hier selbst im Winter angenehm warm war, weil der Drache große Hitze zu verströmen schien. Immerhin, dachte Teres bockig und schnüffelte argwöhnisch. Der Drache stank nicht, obwohl sie das befürchtet hatte; er roch ein wenig wie die Asche der Kaminfeuer, die ihre Zimmer auf der Burg wärmten. Aber verglichen mit den anderen Tieren, die sie kannte und deren Pelz nach dem Regen stets einen so scharfen Geruch ausströmte, dass man die Luft anhalten musste, nahm man ihn kaum wahr. „Das liegt daran, dass er kein Fell hat, kleiner Dummkopf“, sagte Anis später. Als ob Teres das nicht schmerzlich wüsste! An jenem Morgen berührte sie zum ersten Mal eine der Schuppen, die sogar ein wenig größer als ihre Handfläche waren. Die spitz zulaufenden Enden waren so scharf, dass sie sich prompt in die Hand schnitt, nicht tief, aber genug, um ihre Finger hastig zurückzuziehen. Ein paar ihrer Blutstropfen perlten über die verdammte Schuppe, aber man erkannte sie kaum, denn die war rostbraun. Im Vergleich zu einigen der silbrigen, blauen oder goldenen Drachen, die schon über den Berg hinweggeflogen waren, wirkte die Farbe des Drachen auf Teres alltäglich. Wie altes Laub , dachte sie verächtlich.
    Der Drache atmete kaum. Anfangs dachte Teres, er müsse nie Luft holen, aber mit der Zeit fiel ihr auf, dass sich der Staub um seine Nüstern während der Zeit, in der sie und die anderen mit seiner Pflege beschäftigt waren, schwarz färbte. „Er ist sehr vorsichtig, wenn Menschen um ihn sind“, erklärte ihre Mutter. „Richtig ein- und ausatmen kann er nur während des Fliegens, weil die oberen Lüfte so kalt sind, dass sein Atem dort nicht gleich zu Feuer wird.“
    „Du meinst … er könnte uns alle verbrennen?“, fragte Teres schaudernd. „Einfach so?“
    „Er könnte. Aber er will es nicht. Der Drache weiß, wie gefährlich der Feueratem ist – und welche Macht er ihm verleiht.“
    Ihre Mutter hatte jetzt, wo Teres alt genug war, um bei der Pflege des Drachen mitzuhelfen, mehr Zeit für sie. So kam es dem Mädchen jedenfalls vor. Teres wurde nicht länger mit den jüngeren Geschwistern in den Turm geschickt, wo die Kinder des Clans Dekapa untergebracht waren, sobald die Sonne unterging. Nein, sie durfte noch eine Weile länger in dem großen ovalen Raum bleiben, wo die Erwachsenen und die älteren Sprösslinge des Clans sich zu den Mahlzeiten versammelten, wo die alten Lieder gesungen wurden und manchmal auch Tänze stattfanden.
    „Hätten wir uns nicht einen anderen Drachen aussuchen können?“, platzte Teres heraus, als ihre Mutter ihr einschärfte, dem Drachen nach der morgendlichen Reinigung zu danken, ehe sie ging. „Einen schöneren?“ Sie dachte an die bunten Blitze, die sie manchmal über das Gebirge hinwegziehen sah; nicht sehr oft, und keinen im letzten Jahr, aber genügend, um zu wissen, dass es viel schönere Drachen gab als den rostbraunen Koloss, der in der Höhle lag.
    „Unser Drache ist ein Wunder“, entgegnete ihre Mutter tadelnd. „Und so müssen wir ihn behandeln. Du darfst nie anders als mit Achtung und Respekt zu ihm sprechen, Teres, und ich will
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