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Feueratem

Feueratem

Titel: Feueratem
Autoren: Tanja Kinkel
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werden, sondern Sandstein.
    Teres spürte die Kälte in ihren Beinen hochsteigen, bis sie den Turm hinter sich gelassen hatte. Die große Halle wurde nicht nur von der Feuerstelle, sondern auch von dem Drachen erwärmt, dessen Höhle sich unter ihr befand. Teres argwöhnte, dass sich deswegen die erwachsenen Clanmitglieder damit Zeit ließen, sich zum Schlafen in die Türme zurückzuziehen. Auch jetzt, obwohl es schon sehr spät war, konnte sie einige Gestalten auf den Fellen vor dem Feuer sitzen und liegen sehen, aber sie hörte niemanden reden, und niemand bemerkte sie, während sie an der Halle vorbeihuschte und mit dem Abstieg in die Höhle begann.
    Als Teres vor dem Eingang angelangt war, zögerte sie kurz. So oft hatte sie mittlerweile das Ritual praktiziert, über so viele Jahre hinweg, dass ihr ein „Ich bin Dekapa, du bist Dekapa, ich bin gekommen, um zu dienen“ auf der Zunge lag und sie bereits den Mund geöffnet hatte, ehe ihr bewusst wurde, was sie im Begriff stand zu tun. Abrupt presste sie ihre Lippen zusammen. Diesmal nicht, dachte Teres. Nein.
    Sie war ganz gewiss nicht gekommen, um zu dienen.
    Als Teres die Höhle betrat, hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, doch in jedem Fall wäre es nicht schwer gewesen, den Drachen auszumachen. Seine rostbraune Färbung zeichnete sich überraschend deutlich gegen das Dunkel ab, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dasser schwach leuchtete; in dem Dämmerlicht, in dem sie ihn sonst sah, war es ihr nie aufgefallen. Jetzt, mitten in der Nacht, kam er ihr wie ein glühender Holzscheit in der Asche vor.
    Die Augen des Drachen waren geöffnet, und Teres erschrak. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er wach sein würde. Außerdem hielt er die Augen selbst tagsüber meist geschlossen, wenn sie auf ihm herumkletterte, um ihn zu reinigen.Die großen, schwarzen Augäpfel wirken wie Löcher in dem glimmenden Körper.Sie hätte nicht sagen können, ob er sie ansah oder durch sie hindurchschaute; sein Blick war so fremdartig, dass sie sich wie eine Ameise neben einem Menschen vorkam.Ihr wurde bewusst, dass dies ein Moment war, um Furcht zu empfinden.Doch nach einem weiteren Herzschlag war es ihr gleichgültig, und ihre aufgestaute Wut brach sich Bahn.
    „Es ist deine Schuld!“,platzte es aus ihr heraus.„Er hätte mich um meiner selbst willen geliebt,wenn du nicht wärst!Mein Leben lang musste ich deine Dienerin sein, und nun hast du mir auch noch den Liebsten genommen!“
    Ihre Stimme hallte dünn und kindlich von den Wänden der Höhle wider.
    Der Drache rührte sich nicht.
    „Warum?“, fragte Teres und versuchte alles, um nicht zu schluchzen. „Warum hast du dir nicht einen anderen Clan aussuchen können? Warum musste es meine Familie sein?“
    Es kam keine Antwort, und im Grunde hatte sie auch keine erwartet. So war es immer gewesen: Der Drache blieb stumm; er war wie eine gewaltige, stille Masse, die ihr das Leben abdrückte. Aber wenigstens dieses eine Mal hatte sie das nicht schweigend hinnehmen wollen, und sie fühlte sich tatsächlich ein wenig leichter, als sie sich umdrehte, um wieder zu gehen.
    Als der Drache sprach, fuhr sie zusammen, denn der Klang, der auf einmal durch die Höhle schallte und das Schweigen zerriss, hallte in jedem Teil ihres Körpers wider, als hätte jemand direkt neben ihr einen Bronzegong geschlagen. Die Stimme des Drachen war anders als alle, die Teres bisher gehört hatte, nicht die eines Mannes, nicht die einer Frau, und ohne jedes Echo, obwohl Teres’ Worte eines gehabt hatten.
    „Du weißt genau“, sagte der Drache, „dass er dich nicht liebt und nie geliebt hat. Gäbe es mich nicht, so hätte er dich keines zweiten Blicks gewürdigt.“
    Teres fuhr herum und holte erbittert Luft. „Du …“
    Die dunklen Augen schienen sie zu verspotten und ihren Zorn in sich hineinzusaugen, ohne etwas zurückzugeben. Sie biss sich auf die Lippen und ging Schritt für Schritt auf den Drachen zu. Auf irgendeine Art und Weise musste sie ihn spüren lassen, wie er sie verletzt hatte, ihr ganzes Leben lang. Unter ihren Füßen war der Boden inzwischen so warm wie ihre eigene Haut, aber das kannte sie nicht anders, und sollte er wärmer sein als sonst, es wäre ihr nicht aufgefallen; der dunkle Staub zwischen ihren Zehen wirbelte nur ein wenig auf, weil sie fester auftrat als sonst.
    Als sie vor dem Maul des Drachen stand, sah sie seine Nüstern, eine der wenigen Flächen seines Körpers, die nicht mit Schuppen bedeckt war. So
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