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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aufwenden musste. Er würde wahrscheinlich noch viel mehr Kraft brauchen, um ihn wieder aufzubekommen, aber dem Jungen würde das ganz bestimmt nicht gelingen.
    Er kehrte zum anderen Ende des Gewölbes zurück und versuchte das graue Halbdunkel vor sich mit Blicken zu durchdringen. Jetzt, wo er den einzigen Ausgang verrammelt hatte, würde er den Jungen über kurz oder lang finden, da war er sicher.
    Er korrigierte seine Schätzung, was die Größe des Kellers anging, um ein gutes Stück nach unten, aber dennoch lief ihm die Zeit davon. Dazu kam, dass er auch hier im Grunde nicht mehr als Schatten sah. Die Fenster waren nicht besonders groß, und das Licht wurde zusehends schwächer. Ihm blieben vielleicht noch zehn Minuten, bis es hier drinnen vollkommen dunkel sein würde. »Was soll denn das, Junge?«, fragte er. »Ich weiß, du hast Angst und wahrscheinlich auch Schmerzen, aber ich will dir wirklich nur helfen. Ich bringe dich zum Arzt. Oder, wenn du willst, auch nach Hause. Also komm schon raus. Es wird langweilig.«
    Niemand kam raus, aber irgendwo in den Schatten vor ihm schien sich etwas zu bewegen, und er hörte ein leises Scharren. Der Junge war hier.
    Langsam, mit halb geschlossenen Augen und sich weit mehr auf sein Gehör verlassend als auf die ohnehin eher verwirrenden Schemen, die er sah, bewegte er sich tiefer in den Raum hinein. Auch dieser Keller stand unter Wasser. Die schmutzige Brühe reichte ihm jetzt fast bis an die Waden, aber das Wasser war nicht annähernd so eisig wie dort drüben, und auch die Luft kam ihm deutlich wärmer vor. Auf sonderbar unangenehme Weise wärmer, als hätte das Feuer, das das Haus verzehrt hatte, einen Teil seiner Hitze hier unten zurückgelassen. Nicht weit von ihm entfernt platschte etwas im Wasser, und als Will dort hinüberblickte, glaubte er etwas Grünliches, Schuppiges zu sehen, auf den ersten flüchtigen Eindruck etwas geradezu Groteskes …
    Will verscheuchte den Gedanken. Sein Appartement war vollgestellt mit kleineren und mittelgroßen Drachenfiguren, eine Obsession, die er sich über die Kindheit hinweg bewahrt hatte, weil sie ihm Halt gab in einer Welt, die ihm nicht immer besonders freundlich gesonnen war. Vielleicht lag es daran. Wie sonst hätte er auf die Idee kommen können, in der Brühe schwimme etwas, das eine verteufelte Ähnlichkeit mit einem Drachen hatte? Als er seinen Blick weiterschweifen ließ, konnte er nichts mehr entdecken. Trotzdem war er plötzlich gar nicht mehr so sicher, dass es wirklich eine gute Idee gewesen war, die Tür hinter sich zu verriegeln. Was, wenn der Brand tatsächlich noch irgendwo hier unten schwelte und nur darauf wartete, plötzlich wieder auszubrechen und diesen Raum in einen unterirdischen Hochofen zu verwandeln, in dem er hilflos gefangen wäre?
    Er versuchte, die Vorstellung als lächerlich abzutun. Das schmutzige Wasser, durch das er watete, war Löschwasser, das durch die Decke und das Mauerwerk gesickert war, nachdem die Feuerwehr es gleich hektoliterweise über dem brennenden Haus ausgeschüttet hatte. Alles hier war nass. Hier unten konnte nichts mehr brennen.
    Und trotzdem streckte er die Hand aus und tastete mit gespreizten Fingern nach der Wand.
    Das Feuer war da. Er konnte es spüren. Flammen und Glut waren erloschen, aber das, was das Feuer wirklich ausmachte, war noch immer da, still, abwartend und lauernd. So hastig, als habe er sich tatsächlich verbrannt, zog er die Hand zurück und betrachtete seine Finger. Ein wenig schmieriger Ruß klebte an seiner Haut, warm, aber nicht heiß. Natürlich nicht heiß. Dennoch streckte er nach kurzem Zögern noch einmal den Arm aus und legte diesmal die ganze Hand auf den Stein.
    Er hatte sich nicht geirrt. Da war etwas. Will konnte nicht genau sagen, was, schon weil das Gefühl mit nichts zu vergleichen war, was er jemals erlebt hatte, aber irgendetwas bewegte sich in dieser Wand. Etwas Großes, Warmes, das sich schwerfällig zu regen schien, wie ein Drache, der sich im Schlaf bewegte. Trotz der Härte des unter der Hitze porös gewordenen Steins fühlte sich die Wand … lebendig an. Irgendetwas war darin eingeschlossen. Er konnte das Feuer spüren. Seine Heimtücke, seine Intelligenz, seinen absoluten Willen zu überleben und zu zerstören.
    Unsinn!
    Will schüttelte den Gedanken mit aller Macht ab, zog die Hand zurück und zwang ein nervöses Lächeln auf seine Lippen, das nicht nur keinem anderen Zweck diente als dem, seine Furcht zu überspielen, sondern
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