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Feuer der Rache

Titel: Feuer der Rache
Autoren: Ulrike Schweikert
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loszuziehen.
    Die nächsten Seiten waren leer. Anscheinend vergingen viele Tage, bis Iris das Buch wieder aufschlug. Es folgten Zeichnungen, Kritzeleien, Schimpfwörter. Sie hatte kleine Mädchen gemalt und sie dann mit einem schwarzen Stift durchgestrichen, zerkratzt, manche Seiten zerschnitten. Auf ein paar Seiten waren braune Flecken. Konnte es Blut sein?
    Erst im Herbst gab es wieder schriftliche Eintragungen. Die Angst sprang Sabine ins Gesicht. Iris beobachtete voller Panik die Veränderungen ihres Körpers. Sie war zu intelligent, um die Zeichen misszudeuten: Sie war schwanger. Die Verzweiflung schlug über ihr zusammen, und zum ersten Mal formulierte sie ihre Sehnsucht nach dem Tod -nach der Erlösung von ihren Albträumen, von nächtlichen Panikattacken, von der Atemnot, die sie immer wieder plötzlich überfiel, und von dem Drang, sich ständig zu waschen.
    Sabine wischte sich über das Gesicht. Ihr war übel. Sie legte das Tagebuch weg und griff nach Alettas Aufzeichnungen.
    Sie las ihre tabellarische Auflistung der Vergewaltigungen, an welchem Tag sich die Jungengruppe welches Mädchen vorgenommen und was sie ihm angetan hatte. So sauber in nüchterne Form gebracht, traf es sie noch einmal so tief wie Iris' Pein, die aus dem Tagebuch sprach.
    Stunden vergingen. Sie las Carmens Briefe, die sie in Momenten der Verzweiflung an Aletta geschrieben hatte, sie verfolgte Maikes Hass auf ihren eigenen Körper und ihre Einsamkeit, nachdem die Eltern Iris in ein Internat geschickt hatten. Und dann Alettas Tagebuch, wie sie in ihrer Hexengruppe die Kraft suchte, die sie an die Freundinnen weitergeben musste. Sie fühlte sich schuldig und verantwortlich, weil sie als Einzige davongekommen war. Sie brach bewusst die Schule ab, um für die Freundinnen da zu sein und mit ihnen ihr Schicksal zu teilen. Doch die Belastung schien sie zu zerbrechen. Sie sehnte sich danach, diese Verantwortung loszuwerden und endlich ihr eigenes Leben führen zu können.
    Die Kommissarin nahm ein weiteres Tagebuch zur Hand und stieß wieder auf Iris' Schrift. Sie war schwanger, und sie litt. Sie hatte es den Eltern sagen müssen, doch deren Reaktion war noch schlimmer ausgefallen, als sie befürchtet hatte. Die Mutter weinte und sagte ihr immer wieder, wie sehr sie von ihrer Tochter enttäuscht war. Sie wollte den Namen des Kindsvaters wissen und brach fast zusammen, als Iris sagte, sie wisse nicht, wer es sei.
    Ich habe versucht, es ihr zu sagen, doch sie will es nicht hören. Sie sagt, anständigen Mädchen kann so etwas nicht passieren. Ich hätte mich aufreizend benommen und die Jungen verführt. Nun könnte ich ihnen hinterher nicht die Schuld geben. Sie beschimpft mich als Sünderin und schleppt mich immer wieder in die Kirche zur Beichte. Aber ich kann es dem Pfarrer nicht sagen. Er sieht mich so an, dass ich kein Wort hervorbringe, und dann sagt er, wenn ich es nicht beichte und keine Buße empfange, dann wird Gott mir meine Sünden nicht verzeihen. Ob ich mit dieser schweren Last wirklich leben will?
    Ich bete, immer wieder, und Gott weiß alles. Ich habe ihn gefragt, warum er das zugelassen hat. Warum die Jungen das mit mir tun durften, ohne dass er einen Engel geschickt und mir geholfen hat, aber er gibt keine Antwort. Bin ich denn wirklich so schlecht, dass ich das verdient habe? Und nun das Kind! Mama sagt, dass es niemand wissen darf. Nicht einmal die Großmutter. Sie sagt, sie bringen mich weg, und dann muss ich in ein Internat, wo sie aufpassen, dass ich mich nicht wieder wie eine Hure benehme und mit Männern schmutzige Sachen mache.
    Ich habe solche Angst. Ich weiß nicht, wie ich auch nur eine Stunde überleben kann, wenn Maike nicht da ist. Ich gehe nicht mehr hinaus, wenn sie nicht bei mir ist, sie oder Carmen und Aletta. Aber wie soll das werden, wenn Mama mich wegbringt?
    Ich würde mich umbringen, aber dann komme ich bestimmt in die Hölle. Das ist noch schlimmer, als mit Männern rummachen. Ich sehe keinen Ausweg. Ich bete immer wieder, so wie Mama es mir gesagt hat, aber Gott hilft mir nicht!
    Sabine las und drang immer tiefer in die Leidensgeschichte der vier Mädchen ein, während der Tag verstrich. Sie fragte sich nicht mehr, warum die Mädchen ihre Peiniger getötet hatten. Sie fragte sich nur noch, warum sie damit so lange gewartet hatten.
    Die Kommissarin machte sich einen Tee, um für einen Augenblick in ihre Welt zurückzukehren. Dann wandte sie sich wieder den Tagebüchern zu.
    Die Eltern hatten Iris also
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