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Feuer auf See

Feuer auf See

Titel: Feuer auf See
Autoren: Jack London
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nicht trösten lassen, und beim Licht einer Laterne las er in seinem Handbuch für Schiffsführer das Kapitel, das vom Verhalten bei Zyklonen handelte. Irgendwo mittschiffs wurde die Stille vom leisen Weinen des Schiffsjungen unterbrochen.
    »Ach, halt den Mund!« brüllte Kapitän Davenport plötzlich mit solcher Kraft, daß alle Mann an Bord erschraken und der Störenfried vor Angst in wildes Geheul ausbrach.
    »Mr. König«, sagte der Kapitän mit einer vor Wut und Nervosität zitternden Stimme, »wollen Sie nach vorn gehen und diesem Balg mit einem Schwapper den Mund stopfen?«
    Aber statt seiner ging McCoy nach vorn und hatte in wenigen Minuten den Jungen beruhigt und zum Schlafen gebracht.
    Kurz vor Tagesanbruch begann der erste Lufthauch sich in Südost zu regen und wuchs schnell zu einer steifen und immer steiferen Brise. Alle Mann waren an Deck und warteten, was kommen würde. »Es steht gut, Kapitän«, sagte McCoy, dicht hinter ihm stehend. »Der Orkan weht westwärts, und wir befinden uns südlich. Diese Brise ist nur der Sog. Es wird nicht schlimmer. Sie können jetzt wieder Segel setzen.«
    »Aber, was nützt das? Wohin soll ich fahren? Dies ist der zweite Tag ohne Beobachtungen, und wir hätten die Haoinsel schon gestern früh sichten müssen. In welcher Richtung liegt sie, Norden, Süden, Osten oder was? Sagen Sie mir das, und ich setze sofort die Segel.«
    »Ich bin kein Seemann, Kapitän«, sagte McCoy in seiner milden Art.
    »Ich hab’ immer gedacht, daß ich einer sei«, lautete die Antwort. »Bis ich in diese Paumotus kam.«
    Gegen Mittag hörte man vom Ausguck den Ruf »Brandung voraus!« Die ‘Pyrenees’ fiel ab, und Segel auf Segel wurde losgemacht. Die ‘Pyrenees’ glitt durch das Wasser und kämpfte gegen eine Strömung, die sie in die Brandung zu setzen drohte. Offiziere und Mannschaften arbeiteten wie verrückt, Koch und Kajütenjunge, selbst Kapitän Davenport und McCoy legten Hand mit an. Mit Not und Mühe kamen sie davon. Es war eine Untiefe, eine kahle, gefährliche Stelle, über die unaufhörlich die Seen brachen und auf der niemand leben und nicht einmal Seevögel einen Ruheplatz finden konnten. Bis auf hundert Ellen wurde die ‘Pyrenees’ herangetrieben, ehe der Wind sie klarmachte, und in dem Augenblick, als die Arbeit überstanden war, brach die übermüdete Mannschaft in eine Flut von Flüchen über das Haupt McCoys aus – McCoys, der an Bord gekommen war, die Fahrt nach Mangareva vorgeschlagen und sie alle von der sicheren Pitcairninsel fortgelockt hatte zu sicherem Verderben in diesem furchtbaren, verwirrenden Fahrwasser. Aber McCoys Seele blieb unerschütterlich. Er lächelte sie mit einfachem, liebenswürdigem Wohlwollen an, und irgendwie schien seine erhabene Güte in ihre schwarzen, finsteren Seelen zu dringen, sie zu beschämen und aus dieser Scham heraus die in ihren Kehlen zitternden Flüche zu unterdrücken.
    »Schlechtes Fahrwasser! Schlechtes Fahrwasser!« murmelte Kapitän Davenport, als das Schiff klarlag; aber er brach plötzlich ab, um auf die Untiefe zu starren, die achtern hätte sein müssen, sich aber schon in Luv der ‘Pyrenees’ befand und sich reißend schnell nach Lee drehte.
    Er setzte sich nieder und verbarg das Gesicht in den Händen. Und der erste Steuermann und McCoy und die Mannschaft, sie alle sahen, was er gesehen hatte. Südlich der Untiefe hatte eine östliche Strömung sie hingetrieben; nördlich von ihr hatte nun eine ebenso reißende westliche Strömung das Schiff gepackt und trieb es weg.
    »Ich hab’ schon früher von diesen Paumotus reden hören«, seufzte der Kapitän, indem er sein blasses Gesicht hob. »Kapitän Movendale erzählte mir von ihnen, nachdem er sein Schiff dort verloren hatte. Und ich lachte ihn hinter seinem Rücken aus. Gott verzeihe es mir, ich lachte ihn aus. Was für eine Untiefe ist das hier?« fragte er abbrechend McCoy.
    »Ich weiß es nicht, Kapitän.«
    »Warum wissen Sie es nicht?«
    »Weil ich sie noch nie gesehen und noch nie von ihr gehört habe. Ich weiß, daß sie auf der Karte nicht .verzeichnet ist. Diese Gewässer sind noch nie genau durchforscht worden.«
    »Sie wissen also nicht, wo wir sind?«
    »So wenig wie Sie«, sagte McCoy freundlich.
    Um vier Uhr nachmittags wurden Kokospalmen gesichtet, die aus dem Wasser emporzuwachsen schienen. Etwas später hob sich ein niedriges Atoll über das Wasser.
    »Jetzt weiß ich, wo wir sind, Kapitän.« McCoy ließ das Glas von den Augen sinken. »Das ist
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