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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Roche
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geht’s um die Ecke, wahrscheinlich ins Badezimmer, na, sagen wir Duschzimmer.
    Neben meinem Bett steht links direkt ein Metallnachttisch mit Schublade drin und Rollen drunter. Extra hoch, damit man von den hohen Betten aus gut rankommt.
    Rechts von mir ist die lange Fensterfront, behängt mit weißen, durchsichtigen Gardinen mit Bleiband unten reingenäht, um die schön stramm nach unten zu ziehen. Die müssen immer ordentlich aussehen. Wie Beton. Sie sollen sich bei offenem Fenster auf keinen Fall im Wind bewegen. Vor dem Fenster steht die Kiste mit meinen Windeln, daneben ein Karton mit hundert Gummihandschuhen. Steht drauf. Sind wahrscheinlich etwas weniger drin mittlerweile.
    Gegenüber an der Wand hängt ein gerahmtes Poster, man sieht die kleinen Metallkrallen, die das Glas festhalten. Auf dem Foto ist eine Baumallee, darüber steht in großen gelben Buchstaben: Gehe mit Jesus.  Spazieren oder was?
    Über der Tür hängt ein kleines Kreuz. Jemand hat einen Zweig dahintergesteckt. Warum machen die das? Ist auch immer die gleiche Pflanze mit diesen kleinen aufgewölbten Blättchen, dunkelgrün, unecht glänzend. Der Zweig sieht immer aus wie Plastik, ist aber immer echt. Ich glaube, er kommt von einer Hecke.
    Wieso stecken die ein Stück Hecke hinter ihr Kreuz? Das Poster und das Kreuz sollen weg. Ich werde Mama zwingen, die Sachen abzuhängen. Ich freue mich jetzt schon auf die Diskussion. Mama ist gläubige Katholikin. Halt. Ich hab was vergessen. Da oben hängt ein Fernseher. Ich hatte noch gar nicht nach oben geguckt. Der ist in einen Metallrahmen gespannt und stark nach vorne gekippt. Als würde er jede Sekunde auf mich drauf fallen. Ich frage Robin später, ob er mal dran rütteln kann. Nur um sicherzugehen, dass er nicht runterfällt. Wenn ich einen Fernseher habe, muss ich doch auch eine Fernbedienung haben, oder muss ihn immer jemand für mich an- und ausmachen? Vielleicht in der Schublade? Ich ziehe sie auf und merke meinen Arsch. Vorsicht, Helen. Jetzt keinen Quatsch machen.
    Die Fernbedienung liegt in einem der Plastikfächer in der Schublade. Alles klar. Außer, daß die Betäubung weggeht. Muss ich jetzt schon nach Schmerzmitteln klingeln?
    Vielleicht wird es nicht so schlimm. Genau, ich warte erst ein bisschen, um mal zu gucken, wie sich das anfühlt. Ich versuche über andere Sachen nachzudenken. Zum Beispiel über das letzte Einhorn. Klappt aber nicht. Ich drücke schon die Zähne fest gegeneinander, die Gedanken sind nur noch bei meinem verwundeten Arsch, ich verkrampfe überall. Vor allem an den Schultern. So schnell verschwindet die gute Laune. Robin hatte recht. Ich will aber nicht als weinerlich gelten, grad noch bei Robin so eine große Klappe gehabt, ein bisschen halt ich noch aus. Ich schließe die Augen. Eine Hand liegt vorsichtig auf meinem Mullaufkleberarsch, die andere Hand am Klingelknopf. Ich liege rum, und die Schmerzen pulsieren. Die Betäubung wird immer schwächer. In Schüben brennt es an der Wunde. Meine Muskeln verkrampfen immer mehr. Die Pausen zwischen den Schüben werden kürzer.
    Ich klingele und warte. Eine Ewigkeit. Ich kriege Panik. Der Schmerz wird schlimmer, das Reißen, das Messerbohren am Schließmuskel. Die haben den bestimmt extrem gedehnt, den Schließmuskel. Ja, klar. Wie sollen die sonst da reinkommen? Oben rum? Oh, Gott! Die gehen mit erwachsenen Männerhänden in meinen Enddarm und fuhrwerken da mit Messern und Spreizmetallen und Nähgarn herum. Der Schmerz ist nicht direkt in der Wunde, sondern kreisrund um die Wunde rum. Ein ausgeleierter Schließmuskel.
    Da ist er endlich.
    »Robin?«
    »Ja?«
    »Dehnen die bei der Operation das Poloch so auseinander, dass die da mit mehreren Händen reinkommen?«
    »Ja, leider ja. Das verursacht dir gleich, wenn die Betäubung nachlässt, die meisten Schmerzen.«
    Hm. Gleich. Ich brauche jetzt schon Schmerzmittel. Von der Vorstellung, dass es noch dauert, bis das wirkt, wird mir schlecht vor Angst. Ich hab mal wieder zu lange Schmerz ausgehalten, und jetzt muss ich ganz lange warten, bis diese Scheiße am Arsch aufhört. Ich will lernen, Schmerz früher zuzugeben, und ein Patient werden, der lieber zu früh klingelt und nach Schmerzmitteln fragt, als jetzt diese Minuten überstehen zu müssen, bis es anschlägt. Hier gibt’s nämlich keinen Orden für Schmerzsoldaten, Helen. Mein Arschloch ist wundgedehnt.
    Es fühlt sich an, als wäre das Loch so groß wie der ganze Arsch. Das geht doch nie wieder normal zusammen.
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