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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Roche
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mir mit dem Lächeln die Mundwinkel ein, weil meine Lippen so trocken sind. Mein Arschloch! Deswegen bin ich hier! Das war auch eingerissen. Meine Hand wandert runter zum Po. Ich ertaste einen großen Mullaufkleber, der über beide Arschbacken gespannt ist, und unter dem Aufkleber einen dicken Knubbel. O je. Hoffentlich gehört der Knubbel nicht zu meinem Körper. Hoffentlich geht der mit ab, wenn das Pflaster abgerissen wird. Ich habe dieses alberne schlabberlatzähnliche Kleid an. Da stehen die drauf in Krankenhäusern.
    Da sind Ärmel dran und vorne rum sieht man aus wie
ein Rauscheengel. Aber hinten ist absolut kein Stoff außer der kleinen Schleife im Nacken. Warum gibt’s dieses Kleidungsstück überhaupt? Ja, gut. Wenn man liegt, können die einem das anziehen, ohne einen anheben zu müssen. Aber ich lag während der Operation doch wohl eher auf dem Bauch, damit die besser an den Arsch kommen. Heißt das, ich war die ganze Operation über nackt? Das finde ich schlimm. Die reden doch darüber, wie man aussieht. Da bin ich mir total sicher! Und man speichert das in der Narkose im Unterbewusstsein ab und wird irgendwann verrückt, und keiner weiß, warum.
    Dieses luftige Gefühl hintenrum kenne ich aus meinem wiederkehrenden Kindheitsalptraum. Grundschule. Ich stehe an der Haltestelle und warte auf den Schulbus. So wie ich wirklich oft vergessen hab, die Schlafanzughose auszuziehen, bevor ich die Jeans anziehe, habe ich an dem Tag vergessen, unter meinem Rock eine Unterhose anzuziehen. Als Kind merkt man so was zu Hause nicht, in der Öffentlichkeit will man aber lieber sterben, als entdeckt zu werden, mit nacktem Arsch unterm Rock. Und das genau in der Zeit, als alle Jungs mit uns gespielt haben: Deckel hoch, Wasser kocht.
    Robin kommt rein. Spricht ganz vorsichtig und sagt, alles sei gut gelaufen. Er fährt mich mit meinem Riesenbett
in Aufzüge, durch Flure und haut immer volle Pulle auf
die Spielshowbuzzer, damit die Türen aufgehen. Ach, Robin. Durch die Nachwirkung der Betäubung habe ich ein cruisendes Gefühl. Ich nutze die Zeit, um alles über mein Arschloch zu erfahren. Komisches Gefühl, dass Robin mehr darüber weiß als ich. Der hat so ein Klemmbrett, da steht alles drauf über mich und meinen Po. Ich bin ganz plauderig und mir fallen viele Po-Operationswitze ein. Er sagt, ich bin so locker und lustig, weil die Narkose noch wirkt. Er parkt mein Bett in meinem Zimmer und sagt, er könnte sich noch Ewigkeiten mit mir unterhalten, leider habe er aber noch andere Patienten, um die er sich kümmern muss. Schade.
    »Wenn Sie Schmerzmittel brauchen, einfach klingeln.«
    »Wo ist mein Rock und die Unterhose, die ich vor der Operation anhatte?«
    Er geht zum Fußende von meinem Bett und schlägt die Decke auf. Da liegt ganz ordentlich gefaltet der Rock, und darauf die Unterhose.
    Das ist die Situation, die Mama so fürchtet. Die Unterhose ist so gefaltet, dass der Schritt obenauf liegt. Natürlich auf rechts, nicht auf links. Und trotzdem kann ich den getrockneten Muschisaftfleck leicht durchschimmern sehen. Mama findet, das Wichtigste für eine Frau, die ins Krankenhaus kommt, ist, saubere Unterwäsche anzuhaben. Ihr Hauptargument für übertrieben saubere Wäsche: Wenn man angefahren wird und ins Krankenhaus kommt, ziehen die einen aus. Auch die Unterwäsche. Oh mein Gott. Und wenn die dann sehen, dass die Muschi da ihre normale Schleimspur hinterlassen hat, dann ... Was dann?
    Mama stellt sich, glaube ich, vor, dass alle im Krankenhaus dann rumerzählen, was Frau Memel für eine dreckige Schlampe ist. Außen hui, untenrum pfui.
    Der letzte Gedanke, den Mama vor ihrem Tod am Unfallort hätte, wäre: Seit wie viel Stunden trage ich diese Unterhose schon? Gibt es schon Spuren?
    Das Erste, was Ärzte und Sanitäter bei einem blutüberströmten Unfallopfer tun, noch vor der Reanimation: mal kurz einen Blick in die blutdurchtränkte Unterhose werfen, damit sie wissen, mit was für einer Frau sie es zu tun haben.
    Robin zeigt mir an der Wand hinter mir ein Kabel mit einem Klingelknopf dran, legt es neben mein Gesicht auf das Kissen und geht raus. Brauch ich bestimmt nicht.
    Ich gucke mich in meinem Zimmer um. Alle Wände sind hellgrün gestrichen, so hell, dass man es kaum wahrnehmen kann. Soll wohl beruhigen. Oder Hoffnung machen.
    Links von meinem Bett ist ein kleiner Schrank für Kleidung in die Wand gebaut. Ich hab noch nichts zum Reintun hier, bringt mir aber bestimmt bald jemand. Hinter dem Schrank
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