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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Roche
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kämme sie nur ein bisschen mit den Fingern durch.
    Die Tür geht auf. Robin.
    »Was ist denn? Bin grad auf dem Weg nach Hause. Hast Glück, dass du mich noch erwischt hast.« Du auch. Darfst mich nämlich mitnehmen in dein Zuhause, wenn du willst, Robin.
    »Du hast gepackt? Bist du entlassen?«
    Er guckt traurig. Er denkt, er muss sich jetzt von mir verabschieden.
    Ich nicke.
    Seine weiße Uniform hat er mit einem hellblau-dunkelblau-karierten Regenmantel bedeckt. Sieht sehr gut aus. Zeitlos klassisch.
    Keine Zeit verlieren.
    »Robin. Ich hab euch alle angelogen. Ich hatte schon längst Stuhlgang. Ich bin sozusagen gesund. Du weißt schon, ohne Blutung. Also vorne schon. Aber hinten nicht. Du verstehst. Ich wollte so lange wie möglich im Krankenhaus bleiben, weil meine Familie hier so schön zusammenkommen könnte. Wir sind nämlich keine Familie mehr, und ich wollte, dass meine Eltern hier in diesem Zimmer wieder zusammenkommen. Das ist aber ganz schön verrückt. Die wollen nämlich gar nicht. Die haben neue Partner, die ich so ignoriere, dass ich von denen noch nicht mal die Namen weiß. Ich will nicht zu meiner Mama nach Hause. Papa ist weg. Mama hätte meinen Bruder fast umgebracht, so schlecht geht es der. Ich bin achtzehn. Ich kann selbst entscheiden, wo ich sein will. Darf ich bei dir wohnen?«
    Er lacht.
    Vor Verlegenheit? Mich aus? Ich gucke ihn entsetzt an.
    Er kommt auf mich zu. Stellt sich vor mich ans Bett und nimmt mich in den Arm. Ich fange an zu weinen. Ich weine immer mehr. Ich schluchze. Er streichelt mir sicher und fest über die fettigen Haare. Liebestest bestanden.
    Ich lächele ganz kurz im Weinen.
    »Du musst bestimmt nachdenken, ob du das darfst.«
    Seine Jacke ist tränenabweisend.
    »Ja.«
    »Ja, du musst noch nachdenken, oder ja, ich darf zu dir?«
    »Komm mit.«
    Er hebt meine Tasche hoch und hilft mir vom Bett.
    »Kannst du meine Tasche schon zum Auto mitnehmen und mich gleich abholen? Ich muss noch was mit meiner Familie klären.«
    »Würde ich gerne. Ich habe aber kein Auto, nur ein Fahrrad.«
    Ich hintendrauf, mit meinem kaputten Arsch. Das hat gerade noch gefehlt. Aber so machen wir es.
    »Ist es weit bis zu dir? Eine kurze Strecke schaffe ich auf deinem Gepäckträger.«
    »Ist nicht weit. Wirklich. Ich gehe mit deiner Tasche ins Schwesternzimmer und warte auf ein Bimmelzeichen von dir. Dann hole ich dich ab. Ich habe deine Tasche, es gibt kein Zurück.«
    »Du mußt nicht lange auf mich warten. Kann ich noch was aus der Tasche haben?«
    Ich krame darin rum und finde meinen Kugelschreiber. Den brauche ich noch. Und ein T-Shirt und ein Paar Socken.
    Er streichelt mir übers Gesicht, presst die Lippen zusammen und nickt mir mehrmals zu. Ich glaube, das soll mir Mut machen, für die Familiensache.
    »Kein Zurück«, sage ich ihm hinterher.
    Die Tür geht zu.
    Ich hole das Kleid und die Schuhe von Mama aus Tonis Tasche.
    Die Tasche stopfe ich in den Schrank. Brauch ich nicht mehr, stört nur das Bild.
    Das Kleid lege ich mit der Halsöffnung zur Wand und in angemessenem Abstand die Schuhe darunter.
    Das T-Shirt falte ich ganz klein, damit es aussieht wie ein Kinderkleidungsstück. Die Socken rolle ich etwas zusammen, damit sie aussehen wie kleine Kindersocken. Das lege ich neben den weiblichen Erwachsenenkörper. Aus der Tupperdose hole ich zwei viereckige Unterlagen und falte sie klein zusammen. Die kleingefalteten Unterlagen lege ich an die Stelle, wo die Köpfe der Figuren wären. Ihre Kissen.
    Der große Körper kriegt lange Haare gemacht. Ich reiße mir eins nach dem anderen aus und lege die Haare einzeln auf das Kissen. So sind sie überhaupt nicht sichtbar. Immer wieder gehe ich ein Stück weg, um zu sehen, ab wie vielen Haaren man sie überhaupt bemerkt, wenn man einfach so im Zimmer steht und nicht weiß, worauf man achten muss. Irgendwann höre ich auf, sie einzeln rauszureißen. Dauert zu lange. Büschelweise rupfe ich sie aus der Kopfhaut raus und lege sie auf das Kissen, bis ich finde, dass man sie gut genug erkennen kann. Tut nicht so weh, wie ich dachte. Bestimmt wegen den Tabletten. Und jetzt die Kinderhaare. Kurz müssen sie sein. Aus jedem rausgerissenen Haar von mir kann ich drei Kinderhaare machen. Ich lege auch auf das Kinderkissen so viele kurze Haare, dass man sie gut sehen kann.
    Jetzt wird klar, dass dort eine Frau und ein Junge liegen.
    Mit dem Kugelschreiber male ich an ihrem Kopfende einen Ofen mit Herdplatten auf die Tapete. Ein bisschen perspektivisch,
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