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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Roche
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lege mich auf den Bauch und schiebe meinen ganzen Körper, die Füße voran, seitlich die Bettkante entlang, bis ich in einem rechten Winkel nur noch mit dem Oberkörper auf dem Bett hänge, die Füße auf dem Boden. Diese Turnfigur nenne ich: Helen schubst sich selber von der Bettkante.
    Die beste Sicht hat man jetzt von der Tür aus. Offenes Engelshemdchen, nackter Wundarsch, aufgespreizt zur Tür. Ich klappe den Oberkörper hoch und stehe.
    Ich strecke den rechten Arm hoch in die Luft, wie es uns für das Ende einer Übung beim Bodenturnen beigebracht wurde. Lächele breit und ziehe den Körper so lange Richtung obere Hand, dass die Hacken kurz den Boden verlassen. Ich schlage die rechte Hand feste seitlich gegen den rechten Oberschenkel. Neige meinen Kopf, eine Verbeugung andeutend, und warte auf Applaus. Stille. Ziehe das Lächeln zurück. Naja, Helen, die besten Sachen machst du immer, wenn keiner guckt. So bist du.
    Ich habe keine Schmerzen und will meinen Körper bewegen. Wo gehe ich hin? Nicht vor die Tür. Keine Lust, andere zu treffen. Außerdem müsste ich entweder Arschparade aufm Flur machen oder eine Unterhose anziehen.
    Habe ich überhaupt Unterhosen hier? Weiß ich gar nicht mehr, was Mama mir gebracht hat.
    Das könnte ich doch als Erstes machen bei meinem kleinen Zimmerrundgang. Mal nachschauen. Ich gehe zum Schrank. Öffne die Tür. Stimmt ja. Schlafanzughosen und T-Shirts. Alle noch unberührt. Habe mich hier von Anfang an für OP-Hemdchen entschieden. Hatte noch nichts von meinen eigenen Sachen an.
    Robin hat gesagt, ich könnte morgen schon entlassen werden.
    Also schon Zeit, meine Tasche zu packen, wenn es nach denen ginge.
    Ich werde das nicht schaffen mit meinen Eltern. War ein guter Plan. Aber die kommen ja noch nicht mal wegen der Not-OP hierher. Ich würde meinen Plan gerne weiterverfolgen. Aber hier wird das nicht hinhauen. Die kommen zu selten, und ich müsste was viel Schlimmeres haben, damit ich länger bleiben kann. Die lassen mich nicht lang genug im Krankenhaus, um es zu schaffen. Hier ist es schön. Schöner als zu Hause jedenfalls.
    Vielleicht kann ich woanders hin und muss nicht nach Hause, wenn ich hier schon rausgeschmissen werde?
    Ich hebe die leere Tasche vom Boden des Schrankes auf und knülle sie so klein zusammen, wie es geht. Das Taschenhäufchen stecke ich in meinen Chrommülleimer auf dem Metallnachtschrank. Jetzt müssen meine Sachen im Schrank bleiben, sie haben keine Tasche mehr zum Reisen.
    Also echt, das ist doch Quatsch, Helen. Du findest schon was, wo du hinkannst. Habe schon eine Idee. Ich hole die Tasche wieder aus dem Mülleimer raus.
    Noch etwas Bewegung, ich will mehr. Weil ich meinen Arsch nicht spüre, fühle ich mich fast so, als wäre ich hier im Urlaub. Auf Drogen.
    Vom Metallnachtschrank aus gehe ich die lange Kante des Bettes entlang bis zu der Ecke, die in den Raum ragt. Dann dicht an der schmalen Seite des Bettes vorbei bis zur Fensterbank.
    Und wieder zurück. Einmal. Schneller. Zweimal. Mit immer schnelleren Schritten gehe ich fünfmal diesen Weg hin und zurück, bis ich aus der Puste bin.
    Das ganze Gehen strengt die Beine sehr an. Meine Muskeln haben schon Schwund erlitten in den wenigen Tagen, die ich hier rumliege.
    Ich hebe das Hemdchen hoch, um meine Beine anschauen zu können. Erst lege ich das eine Bein ausgestreckt aufs Bett, dann nehme ich es wieder runter und gucke mir das andere an. Die sind dünner geworden. Sieht komisch aus. Ein bisschen wie Omabeine, wenig Muskel, weiße Haut und lange Beinbehaarung. Oh.
    Da denk ich die ganze Zeit hier im Krankenhaus natürlich nicht dran. Wenn man Schmerzen hat, will man sich ja nicht unbedingt rasieren.
    Jetzt aber.
    Ich schmeiße mich aufs Bett. Zu feste. Trotz Tabletten zieht ein Schmerz in den Arsch und den Rücken hoch. Langsam, Helen, nicht ausflippen.
    Ist doch ganz schön ohne Schmerzen, soll ruhig noch ein bisschen so bleiben. Dann mach mal lieber langsam mit den ruckartigen Bewegungen.
    Ich greife nach dem Telefon und wähle noch mal Mamas Nummer. Schon wieder der Anrufbeantworter. Sind die alle in den Urlaub gefahren, jetzt, wo sie mich los sind? Wann habe ich einen von denen das letzte Mal gesehen?
    Das ist doch Tage her.
    Kann aber nur schwer nachvollziehen, wie lange genau. Auch, wie lange ich schon hier bin. Liegt bestimmt an den Schmerzmitteln und den Schmerzen und vielleicht auch ein bisschen an meinem Drogenkonsum insgesamt. Diese Gedächtnislücken.
    »Ich bin es noch mal.
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