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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Roche
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Habt ihr meine andere Nachricht gehört? Wenn einer von euch überhaupt noch vorhat, mich zu besuchen, dann aber schnell. Toni, du hast mich hier noch gar nicht besucht. Kannst du mir bitte, wenn du kommst, ein Kleid und ein Paar Schuhe von Mama mitbringen? Danke. Bis gleich. Ist schon Abend.«
    Oh, Mann. Schlimm, wenn man abhängig ist von Blutsverwandten. Jetzt muss ich so lange warten, bis mir das jemand bringt.
    Ich hopse in Zeitlupe vom Bett runter und gehe zur Tür, mache sie einen Spalt auf und linse raus. Draußen war nämlich ein gewisser Lärm zu hören. Irgendwas bahnt sich da an.
    Abendliche Essensausgabe. Da schieben die ihre mehrstöckigen Tabletttürme vor sich her und halten an jeder Tür. Vielleicht kriege ich heute Abend was Normales. Nicht wie sonst immer Müsli oder Vollkornbrot. Wenn ich denen sagen würde, dass ich schon längst Stuhlgang hatte, würde ich was Besseres zu essen bekommen. Sage ich aber nicht.
    Langsam gehe ich zu meinem Bett und lege mich rein, um auf die Fütterung zu warten.
    Da klopft es auch schon.
    Ich sage als Erstes sehr freundlich guten Abend. Ist irgendeine Schwester. Kann die nicht auseinanderhalten. Alle unfickbar.
    »Guten Abend, so gut gelaunt, Frau Memel? Wie geht’s Ihnen denn, schon Stuhlgang gehabt?«
    »Noch nicht, danke der Nachfrage. Was gibt’s denn heute?«
    »Für Sie leider nur Vollkornbrot. Sie wissen doch, bis es zum ersten Stuhlgang kommt.«
    »Ich nehme lieber Müsli.«
    Habe ich alles hier, was ich dafür brauche.
    »Was kriegen denn die anderen Patienten heute Abend?«
    »Mit Fleisch: Braten, Erbsen, Kartoffeln und Sauce. Ohne Fleisch: Kohleintopf.«
    Klingt für mich wie das Paradies. Auch weil es warm ist. Ich kriege nur kaltes Essen, und davon wird einem innerlich noch kälter. Bin kurz davor, der Tante zu sagen, dass ich schon längst geschissen habe.
    Aber dafür kriege ich nur einmal warmes Essen und muss dann nach Hause. Der Preis ist zu hoch.
    Ich brauche erst mal noch Zeit, um zu klären, wo es von hier aus hingeht.
    »Danke, ich misch mir das schon selber zusammen.«
    Ich schaufele mit hängenden Schultern drei Löffel Müsli in die Schüssel, hole die Studentenfuttertüte aus der Schublade und lege mir drei Traubengebilde oben darauf. Heute gibt’s bei Helen Tränenmüsli.
    Sobald ich keine Schmerzen mehr spüre, ist das Leben wieder einigermaßen lustig. Ich piekse bei dem Milchpaket mit dem drangeklebten Plastikhalm das Jungfernhäutchen aus Aluminium auf, drehe das Päckchen ganz um und drücke es über der Schüssel komplett leer. Papa hat uns früher oft belehrt, nicht Strohhalm zu sagen, weil die nicht mehr aus Stroh sind. Ich kann mir aber auch gar nicht vorstellen, dass die jemals aus Stroh waren. Wie soll man das Alu-Jungfernhäutchen denn mit Stroh aufpieksen? Knickt doch sofort. Bestimmt waren die schon immer aus Plastik, und nur weil einer fand, dass sie aussehen wie Strohhalme, hat man sie so genannt.
    Ganz schnell esse ich mein kaltes Abendessen auf.
    Beim letzten Haps klopft es leise an der Tür.
    Das ist keine Krankenschwester. Die klopfen immer viel lauter und bestimmter. Es kommt auch keiner rein. Definitiv keine Krankenschwester. Ich tippe auf meinen Vater. Der hat auch so einen ganz schwachen Händedruck. Beschweren sich immer alle drüber. Also hat der nicht genug Muskeln in der Hand. Auch nicht, um feste an Türen zu klopfen.
    »Herein.«
    Die Tür geht langsam auf, oh Mann, wie vorsichtig im Vergleich.
    Das ist der Kopf meines Bruders. Die Gene. Der hat keine Muskeln geerbt vom Vater für die Hand.
    »Toni.«
    »Helen?«
    »Komm rein. Du hast grad das Abendessen verpasst. Danke, dass du mich besuchst. «
    Er hält eine Tasche in der Hand.
    »Hast du die Sachen für mich mit?«
    »Klar. Aber was soll das?«
    »Geheim.«
    Er guckt mich an. Ich gucke ihn an. War es das schon, was wir an Gespräch hinkriegen?
    Ok, nach mir die Sintflut.
    »Toni, du gehst nicht gerne in Krankenhäuser, oder? Deswegen warst du mich noch nicht besuchen.«
    »Ja, weißt du doch. Tut mir leid, Helen.«
    »Soll ich dir sagen, warum du es hier nicht magst?«
    Er lacht: »Nur wenn es nichts Schlimmes ist.«
    »Doch. Ist es.«
    Sein Lächeln verschwindet. Er guckt mich fragend an.
    Los, Helen, raus damit.
    »Als du ganz klein warst, hat Mama versucht sich umzubringen. Sie wollte dich mitnehmen. Die hat dir mit dem Fläschchen Schlafmittel eingeflößt und selber Tabletten genommen. Als die nette Helen nach Hause kam, lagt ihr bewußtlos auf
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