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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Roche
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hustet, geht, schläft und vor allem, wenn man auf Klo sitzt. Das weiß ich aber erst, seit es wehtut.
    Die geschwollenen Hämorrhoiden drücken jetzt mit aller Kraft gegen meine Rasurverletzung, lassen die Fissur immer weiter reißen und verursachen mir die größten Schmerzen, die ich je hatte. Mit Abstand. Direkt danach auf Platz zwei kommt der Schmerz, den ich hatte, als mir mein Vater die Kofferraumklappe unseres Autos die ganze Wirbelsäule entlanggeschrabbt hat – ratatatatat – beim volle Pulle Zuschlagen. Und mein drittschlimmster Schmerz war, als ich beim Pulloverausziehen mein Brustwarzenpiercing rausgerissen hab. Weswegen meine rechte Brustwarze jetzt aussieht wie eine Schlangenzunge.
    Zurück zu meinem Po. Ich habe mich unter riesigen Schmerzen von der Schule ins Krankenhaus geschleppt und jedem Doktor, der wollte, meinen Riss gezeigt. Ich habe
sofort ein Bett in der Proktologischen Abteilung gekriegt, oder sagt man Innere Abteilung? Innere klingt besser als so speziell Arschabteilung zu sagen. Man will ja nicht, dass andere neidisch werden. Vielleicht verallgemeinert man das mit Innere. Frage ich später mal, wenn die Schmerzen weg sind. Jetzt darf ich mich jedenfalls nicht mehr bewegen und liege hier in Embryonalstellung rum. Mit hochgeschobenem Rock und runtergelassener Unterhose, Arsch zur Tür. Damit jeder, der reinkommt, sofort weiß, was Sache ist. Es muss sehr entzündet aussehen. Alle, die reinkommen, sagen: »Oh.«
    Und reden was von Eiter und einer prall gefüllten Wundwasserblase, die aus dem Poloch raushängt. Ich stelle mir vor, dass die Blase aussieht wie die Halshaut von diesen tropischen Vögeln, wenn sie da zum Brunftangeben ganz viel Luft reinpumpen. Ein glänzendrotblau gespannter Sack. Der nächste Proktologe, der reinkommt, sagt kurz: »Guten Tag, Professor Dr. Notz mein Name.«
    Und rammt mir dann was ins Arschloch. Der Schmerz bohrt sich die Wirbelsäule hoch bis zur Stirn. Ich verliere fast das Bewusstsein. Nach ein paar Schmerzsekunden habe ich ein platzendes, nasses Gefühl und schreie: »Aua, vorwarnen, bitte. Was war das, verdammt?«
    Und er: »Mein Daumen. Entschuldigen Sie bitte, mit der dicken Blase davor konnte ich nichts sehen.«
    Was für eine Art, sich vorzustellen!
    »Und? Was sehen Sie jetzt?«
    »Wir müssen sofort operieren. Heute Morgen schon was gegessen?«
    »Wie denn, vor lauter Schmerzen?«
    »Gut, dann Vollnarkose. Bei dem Befund besser.«
    Ich freu mich auch. Ich will bei so was nicht dabei sein.
    »Was machen Sie genau bei der Operation?«
    Dieses Gespräch strengt mich jetzt schon an. Es ist schwer, sich auf was anderes als die Schmerzen zu konzentrieren.
    »Wir schneiden Ihnen das entzündete Gewebe um den Hautriss keilförmig raus.«
    »Kann ich mir nichts drunter vorstellen: keilförmig. Können Sie mir das aufmalen?«
    Offensichtlich wird Herr Professor Dr. Notz nicht oft gebeten, seine operativen Vorhaben vorher kurz zu skizzieren. Er will weg, Blick zur Tür, kaum wahrnehmbares Seufzen.
    Dann zieht er sich doch den silbernen Kugelschreiber von der Brusttasche. Sieht schwer aus. Scheint wertvoll zu sein. Er guckt sich um und sucht wohl Papier zum Zeichnen. Ich kann nicht mithelfen, ich hoffe, das erwartet der auch nicht. Jede Bewegung tut weh. Ich schließe die Augen. Es knistert und ich höre, wie er ein Stück Papier irgendwo abreißt. Ich muss die Augen wieder öffnen, bin zu gespannt auf diese Zeichnung. Er hält den Zettel in seiner Handfläche und macht mit dem Kugelschreiber darin rum. Dann präsentiert er sein Werk. Ich lese: Rahmwirsing. Das gibt es nicht. Er hat ein Stück aus meiner Speisekarte gerissen. Ich drehe das Papier um. Er hat einen Kreis gemalt, ich schätze mal, dass es mein Poloch sein soll. Und in den Kreis einen spitzen, dreieckigen Spalt, als hätte jemand ein Stück Torte geklaut.
    Ach so! Danke, Herr Professor Dr. Notz! Schon mal drüber nachgedacht, Maler zu werden, bei dem Talent? Diese Zeichnung nützt mir überhaupt nichts. Ich werde daraus nicht schlau, frage aber nicht weiter nach. Der will mir schon mal nicht helfen, Licht ins Dunkel zu bringen.
    »Den Blumenkohl können Sie doch bestimmt in einem Rutsch mit wegmachen?«
    »Wird gemacht.«
    Er lässt mich in meiner Pfütze Wundblasenwasser liegen und geht. Ich bin alleine. Und kriege Angst vor der Operation. Auf mich wirkt eine Vollnarkose so unsicher, als würde nach jeder zweiten Operation der Betäubte nicht mehr aufwachen. Ich komme mir sehr mutig vor, dass
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