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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Roche
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gewischt wird? Die machen es einfach, weil sie denken, alle hätten so viel Angst vor Bakterien wie sie. Das ist aber nicht so. In meinem Falle sogar ganz im Gegenteil.
    Sie wäscht die Trauben ganz lange unter fließendem Wasser ab.
    Dabei sagt sie, sie habe sowieso den Eindruck, die seien noch gar nicht gewaschen worden, auch wegen dem gespritzten Gift. Diese pelzige weiße Nebelschicht sei noch dran. Ein sicheres Indiz für nicht gewaschen. Och, bitte!
    Ich sage nichts. Denke aber schreiend laut: Dieses bekloppte Waschen von gespritztem Obst und Gemüse ist die größte Selbstverarschung, die es gibt. Hat mein Papa mir beigebracht. Lernt man heutzutage aber auch in der Schule. Zum Beispiel in Chemie. Die Chemikalien, die gespritzt werden, um Ungeziefer und Pilze fernzuhalten, sind so aggressiv, dass sie unter die Haut von Tomaten und Trauben gehen. Da kannst du waschen, bis deine Finger schrumpelig werden. Nichts geht davon ab. Wenn man was gegen gespritztes Gemüse und Obst hat, sollte man es nicht kaufen. Man braucht nicht zu denken, durch ein paar Sekunden laufendes Wasser könne man der ganzen Giftindustrie ein Schnippchen schlagen. Ich wasche Obst und Gemüse nie, ich glaube nicht daran, dass dadurch irgendwas vom Gift abgeht. Und der andere Grund, warum sie das dringende Bedürfnis verspürte, mein Eigentum abzuwaschen, ist, dass solche Leute immer denken, auf dem Boden ist es einfach sehr dreckig, weil da Menschen mit ihren Schuhen langgehen. In der Vorstellung dieser Menschen liegt alle paar Zentimeter ein minikleiner Partikel Hundescheiße. Das ist das Schlimmste an Verschmutzung, was sich jeder Hygienefanatiker vorstellen kann. Wenn Kinder was von der Straße aufheben und in den Mund stecken, wird ihnen ganz sicher gesagt: Vorsicht, da ist vielleicht Hundekacke dran. Dabei ist es sehr unwahrscheinlich, dass irgendwo Hundekacke dran ist. Und wenn? Was wäre so schlimm daran? Hunde essen Dosenfleisch, das wird in ihren Gedärmen zu Dosenfleischkacke verarbeitet und landet dann auf der Straße. Und wenn ich löffelweise von einem Hundehaufen naschen würde, es würde mir mit Sicherheit nichts passieren. Also kann mir auch bei einem Hauch von einer Spur von einem unwahrscheinlichen Partikel Hundekacke, der wie auch immer in mein Krankenzimmer gekommen ist und da in der Nähe meines Bettes auf dem Boden klebt und sich dann an einer Traube festhält und so in meinen Mund gelangt, erst recht nichts passieren.
    Endlich ist sie fertig mit ihrem Quatsch.
    Ich habe mein Arbeitsmaterial gegen meinen Willen vollgewaschen wieder zurück. Ich sage nicht danke.
    »Bitte, könnten Sie nachfragen, ob ich stärkere Schmerzmittel bekommen kann, oder zwei Tabletten auf einmal? Das, was ich im Moment bekomme, stellt den Schmerz nicht ab, ja?«
    Sie nickt und geht raus.
    Meine Arbeit bringe ich noch sehr verärgert zu Ende. Diese stumpfen Hygieniker machen mich rasend. Sie sind so unwissenschaftlich bakterienabergläubisch. Meine Schmerzen machen mich aber auch rasend. Da kommt mir doch direkt die nächste gute Idee.

Ich weiß jetzt, was ich mache. Ich will Stuhlgang haben. Ich kann nicht aufstehen. Ich zwinge mich aber dazu. Will mich um mich selber kümmern. Mache ich ja sonst nie. Lieber hier kontrolliert und in der Nähe von Ärzten meinen ersten Stuhlgang nach der Not-OP ausprobieren, als da, wo ich hingehe, wenn ich hier rauskomme. Ich bin ganz durcheinander. Mir ist schwindelig.
    Ich werde mich dazu zwingen. So schwer kann das nicht sein. Vielleicht bin ich von der OP noch schmerzbetäubt. Könnte ja sein, dass der Schmerz ab jetzt immer schlimmer wird. Dann probier ich es lieber jetzt. Jetzt oder nie. Reiß dich am Riemen, Helen, und mach. Und bei meiner Ernährung in den letzten Tagen, immer nur knüppelhartes Müsli, da müsste es doch fluppen. Ab ins Duschzimmer. Dort muss ich erst den Pfropfen entfernen. Wieder sehr lang, was die da alles reintun. Ich stelle mich in bewährter Haltung breitbeinig über die Schüssel und denke an den Schmerz, den ich hatte, als ich mich aufgerissen habe. Dagegen ist das hier Kleinkram. Es klappt. Ich schaffe es. Ich mache das sehr gut. Todesmutig drücke ich alles an den Nähten vorbei und bin erlöst. Muss ich ja keinem sagen, dass ich das geschafft habe. Für mich ist es aber gut. Ich bin einen Schritt weiter in Richtung Genesung. Falls ich den Plan mit den Eltern jetzt doch ganz verwerfe, war das alles hier eine große Verschwendung von Kraft und Schmerz. Mal gucken. Ich dusche
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