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Feucht

Feucht

Titel: Feucht
Autoren: Sophie Andresky
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Bruder mit einem Bündel Wäsche unterm Arm ins Badezimmer huschen. Ich hörte den Wasserhahn rauschen. Gleich darauf ging die Tür des Elternschlafzimmers auf und die Mutter tappte auf nackten Füßen hinterher. Ich war müde und wäre eigentlich gerne wieder ins Bett gegangen, aber irgendwie konnte ich nicht und wartete weiter frierend und neugierig hinter der Tür. Was sie im Badezimmer redeten, verstand ich nicht, aber der Tonfall der Mutter ließ mich nicht los, so singend und milde. Betont beiläufig und gleichzeitig unsicher. Schließlich kam sie mit ihrem Sohn über den Flur, hatte einen Arm um seine Schultern gelegt und brachte ihn zurück zu seinem Zimmer. Ich versteckte mich schnell und hörte nur noch, wie sie sagte, feuchte Träume seien ganz normal, und er brauche sich nicht zu schämen und er musste schon gar nicht mitten in der Nacht die Bettwäsche ins Bad bringen und sie alle aufwecken.
    Feuchte Träume stellte ich mir schön vor. Ich dachte an einen großen blauen Fisch mit wulstigen Lippen, der durch meinen Traum schwamm, und an viele kleine rote, die blitzschnell unter ihm wegtauchten. Und ich malte mir aus, dass so ein Traum so intensiv sein musste, bis ich selbst glaubte, man schwimme in einem warmen, salzigen Wasser herum, bis mich ein großer Schwall, vielleicht ausgelöst durch den Flossenschlag eines Wals oder einer Nixe, wieder ins Bett zurückspülen würde. Und vielleicht schwappte etwas von diesem Traum ins Bett mit. Unsere Eltern sagten ja immer, dass etwas in Erfüllung ging, wenn man es sich nur lange genug wünschte. Ich war ganz aufgeregt, weckte meine Freundin und fragte sie, ob sie wisse, wie man feuchte Träume bekommen könne. Oskar habe so etwas, und ich wollte die auch haben. Sie wusste nichts davon, versprach mir aber, ihren Bruder zu fragen. Er war ungewohnt kooperativ, normalerweise beachtete er mich überhaupt nicht, aber nachdem seine Schwester mit ihm gesprochen hatte, verabredete er über sie ein Date an einem Tümpel hinter den Gärten.
    Ich hatte schwitzige Hände, als ich hinging, und ahnte, dass es etwas Verbotenes war. Zu dem Tümpel durften wir eigentlich gar nicht. Er lag in einem ehemaligen Moorgebiet und der Boden um ihn herum war weich und voller Pfützen. Bei jedem Schritt gab es ein schmatzendes Geräusch. Es war sehr heiß an dem Tag, und mein T-Shirt unter den Armen so nass, dass der Stoff ganz dunkel war. Weit weg donnerte es, und dann fing es auch noch an zu regnen. Ganz feiner Sprühregen, der meine nackten Arme und das Gesicht mit einer hauchdünnen Schicht wie Gelee überzog, sodass ich mich klebrig fühlte. Oskar wartete an dem Tümpel und patschte mit seinem Turnschuh am Ufer herum.
    « Da bist du ja », sagte er. « Minni hat gesagt, du willst wissen, wie es geht.» Ich nickte ganz begeistert. Ich hatte mich darauf eingerichtet, erst noch etwas versprechen zu müssen, einen nassen Schwamm aus einem Fenster der Schule auf einen Lehrer fallen zu lassen zum Beispiel. Auch Sachen zum Tauschen hatte ich dabei, eine echte Schleuder, die gut zielte, und eine Kassette. Aber Oskar interessierte sich nicht dafür. Es nieselte immer noch. Seine Hand war genauso klebrig nass wie meine, als er sie nahm. «Zuerst musst du die Augen zumachen», sagte er. Ich fand das zwar albern, denn ich wusste sehr wohl, dass man Geheimnisse auch ohne Brimborium verraten kann, aber ich wollte ihn nicht verärgern und kniff sie zusammen. Und dann stülpte sich ein riesiger nasser Fischmund über meinen und saugte daran, zwang die Lippen auseinander und eine dicke, speicheltriefende Quallenzunge schob sich in meinen Mund bis zum Gaumensegel. Ich holte aus und schubste Oskar zurück. Er fiel direkt in den Tümpel, lag halb im Matsch versunken da wie eine Kröte und schrie «du dumme Kuh» hinter mir her, als ich wegrannte.
    Das Geheimnis der feuchten Träume habe ich nie begriffen, also die bloßen Fakten natürlich schon, aber das schwüle, heimliche, männliche Träumen nicht. Ein paar Jahre später in der Pubertät kam die Feuchtigkeit wieder, nur hatte sie sehr wenig mit Träumen zu tun. Ich war überwach, den ganzen Tag, jahrelang. Mich erregte einfach alles. Comics, Filme, sogar Songtexte. Ich war ein wandelndes Feuchtbiotop. Feuchte Hände im Kino, wenn ich mit irgendeinem übergroßen, ewig grinsenden Mitschüler Händchen hielt, feuchte Blicke, wenn mir mein Tanzstundenpartner in einem besonders romantischen Moment tief in die Augen sah. Später feuchte Höschen beim
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