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Feucht

Feucht

Titel: Feucht
Autoren: Sophie Andresky
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zusammengekrümmt auf dem Fußboden und bewegte sich nicht. Er musste schon längst eiskalte Füße haben, aber er kam nicht ins Bett zurück, und irgendwann schlief ich wieder ein.
    Gereon weckte mich spät mit einem zärtlichen KUSS auf den Mund, spielte mit meinen Haaren und sagte mir, wie schön ich morgens aussehe und wie bewegend er die letzte Nacht gefunden habe. «Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so gelöst und leidenschaftlich mit einer Frau zusammen war. Ich danke dir», sagte er fast andächtig und küsste meine Hand. Sein Blick war dabei so überwältigt und feierlich, dass ich nicht wagte, ihn auf seine nächtliche Begegnung mit Mone anzusprechen. Er versprach, sich um das beste Frühstück seit König Artus' Tafelrunde zu kümmern, und zeigte mir die Dusche, die gleich neben seinem Schlafzimmer lag. Als ich zurückkam, um meine Haarspange zu suchen, fand ich auf dem Fensterbrett ein kleines in Leder eingebundenes Bändchen, das vorher nicht dagelegen hatte.
    Ich nahm es in die Hand und las den Titel. «Tagelieder» stand darauf, aber den Begriff hatte ich noch nie gehört. Ich versuchte mich an das zu erinnern, was ich letzte Nacht gehört hatte, und blätterte das Bändchen durch. Und tatsächlich fand ich einen Autor, der Dietmar von Aist hieß und das Gedicht verfasst hatte «Schläfst du noch, mein schöner Geliebter?», Wort für Wort. Ich überlegte, ob ich mich ärgern sollte, weil es zwischen Gereon und Mone offensichtlich doch eine tiefere Beziehung gab, als er zugeben wollte, aber andererseits war er am Morgen so aufmerksam zu mir gewesen. Ich war zu verwirrt, um mir darüber klar zu werden, was ich fühlte, dass ich das Buch wieder auf das Fensterbrett legte und die Treppe hinunter in die Küche ging, aus der es nach Eiern und Schinken duftete.
    Im Hellen sah das Treppenhaus wirklich beeindruckend aus. An den Wänden hingen Gemälde, deren Oberfläche, wie ich jetzt erkennen konnte, eine Struktur hatten, also keine Drucke waren. Im Flur standen deckenhohe Regale mit Büchern, alte, schwer gebundene Folianten genauso wie moderne Taschenbücher. Im ganzen Haus hörte man leise Musik. Ich brauchte eine Weile, bis ich sie einordnen konnte, dann erkannte ich Kinderlieder, hohe Stimmen mit einfachen Melodien, ein wenig schrill in den hohen Passagen und von einem dichten Knistern überzogen, als wäre es eine alte Schallplatte, die da lief.
    In der Küche deckte Gereon gerade den Tisch, während Mone am Herd stand und Brot aus dem Backofen zog. Ich lehnte im Türrahmen, bis mich einer von beiden bemerkte. Mone begrüßte mich zurückhaltend, aber sehr freundlich.
    Erst bei näherem Hinsehen, sah ich, dass sie rot geweinte Augen hatte. Gereon küsste mich und stellte einen vierten Teller auf den Tisch. Ich wollte nicht einfach so herumstehen und sah mir das Bücherregal an, das mir am nächsten stand. Mir war nicht bewusst, dass ich etwas suchte, aber als ich es dann gefunden hatte, war mir klar, dass ich die Buchrücken systematisch gelesen hatte. Ich nahm ein schweres, offensichtlich oft benutztes Buch aus dem Regal und las laut den Titel vor: «Tagelieder. Herkunft, Motive, Faksimile.» «Was sind denn Tagelieder?», fragte ich so beiläufig wie möglich. Ich bemerkte einen schnellen Blick zwischen Gereon und Mone, aber ich klang so harmlos und stand so unbeteiligt am Regal, dass sie wohl glaubten, meine Frage sei zufällig. « Das ist eine mittelalterliche
    Dichtung, die sich mit dem Abschied zweier Liebenden beschäftigt», erklärte Gereon. «Oft gibt es irgendeinen Wächter oder eine Vertraute, die beide warnt, oder sie werden durch das Licht oder singende Vögel geweckt, und dann muss er sich sputen, damit ihn niemand bei der holden Dame findet.» Er lächelte mich an, und ich lächelte zurück und versuchte, nicht völlig ratlos auszusehen. Vielleicht, überlegte ich, waren diese Lieder einfach ein Hobby der beiden und die Beschäftigung mit dem Mittelalter hatte sie etwas wunderlich gemacht.
    «Interessieren Sie sich auch für Mediävistik?», fragte ich Mone. Gereon antwortete an ihrer Stelle. « Nein sie malt. Hast du ihre Bilder im Treppenhaus gesehen? Sie ist brillant.» «Wirklich beeindruckend», lobte ich und setzte mich an den Tisch. Gereon trug die Pfanne mit den Rühreiern auf und Mone stellte das frische Brot und Käse auf den Tisch. Dann nahm sie ein kleines Ölgemälde von der Wand, das einen älteren Herrn mit Glatze und herrischem Mund zeigte.
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