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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen
Autoren: Gerd Heidenreich
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sie alle sich der Inquisitio Haereticae Pravitatis geweiht hatten, die ihnen von der Gottesmutter aufgetragen war .
    Die »Inquisition gegen ketzerische Verderbtheit« verlangte von den Engelslegionären unbedingte Treue zur Jungfrau Maria. Aber nicht alle trugen den nötigen Hass gegen das Böse in sich, der ihnen die Kraft zu töten gab. Petrus Venerandus sah die Tränen auf Ranuccios Gesicht. Er sehnte sich danach, diese jugendlichen Wangen zu berühren, und war erstaunt, wie stark sein Verlangen war. Er selbst hatte ihm den Namen Ranuccio Farnese gegeben, nach dem Tizian-Gemälde eines jungen Venezianers, das er in einem Kunstkalender entdeckt hatte und das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem jungen Pater aufwies, der hingestreckt vor ihm auf dem Fußboden lag. »Bleibe so in prostratio perfecta liegen und lass uns beten. Sancta Maria, mater Dei, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen. Unter tiefen Atemzügen beruhigte sich Ranuccio und wiederholte: »Heilige Maria Muttergottes, bete für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.« »So ist es gut, mein Sohn«, sagte Petrus Venerandus. »Maria Immaculata ist voll der Gnade und vergibt dir, was du getan hast, denn du hast es in ihrem Namen getan. Höre, was sie dir durch mich in die Seele legt: Ego Petrus Legionis Angelorum abbas, auctoritate omnipotentis Dei et omnium sanctorum absolvo te, Ranuccio superator draconis, pro officio ab omnibus peccatis. In nomine patris et filii …« »Et spiritus sancti. Amen«, vollendete der Liegende, kniete sich und richtete sich auf. Er weinte nicht mehr. Der Großabt hob ihn auf und schloss ihn in seine Arme.
    Er spürte das Beben im Körper des Mannes, den er von seinen Sünden losgesprochen hatte. Er liebte auch dieses Beben, die hilflose Erregung, die sich auf ihn übertrug. Ranuccio Farnese lebte mit allen Sinnen in der Engelslegion, so rückhaltlos gläubig, dass er seine bürgerliche Existenz, seinen Namen außerhalb der Ordensgemeinschaft, wo er Ferdinand Munkert hieß und ein Verkäufer war, als falsches Leben empfand. »Sei ruhig«, flüsterte der Großabt ihm ins Ohr, »ganz ruhig, Ferdinand. Du hast die Nachlässigkeit unseres Bruders Domingo in Edinburgh wieder gutgemacht.« Dann wiederholte er die Absolution in deutschen Worten. Die weitaus meisten Brüder verstanden nicht einmal genug Latein, um der Messe nach dem alten, tridentinischen Ritus folgen zu können. Petrus Venerandus rief in die Halle: »Ich, Petrus, Großabt der Engelslegion, spreche dich, Ranuccio, Überwinder der Schlange, los von allen deinen Sünden im Namen des allmächtigen Gottes und aller Heiligen, kraft meines Amtes. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!« Türen öffneten sich, Freudenlärm auf der Galerie, von allen Seiten drangen die Legionäre in ihren dunkelblauen Kutten auf den Entsühnten ein und gratulierten ihm. Er griff nach den Händen des Großabts: »Petrus Venerandus! Ewig bin ich Euch dankbar! Es war schwer. Es war schrecklich. Sie war eine unschuldige, alte Frau!« Petrus entgegnete ihm: »Der Teufel bedient sich der Unschuldigen!« »Sie wollte nicht sterben! Ich hielt sie fest, sie riss sich los, sie war plötzlich nackt und wehrlos!« Ranuccios Stimme überschlug sich. »Der Teufel bedient sich der Nacktheit«, sagte der Großabt. Er sah das Entsetzen in den Augen der Mitbrüder, die sich vorstellten, wie Janine O’Hearn ermordet worden war. Ranuccio blickte in die Runde. Er flüsterte, aber sein Keuchen war so laut, dass alle es hören konnten. »Ich musste sie erschlagen wie einen Hund. Sie fiel vor meine Füße, ich gab ihr den Rosenkranz in die Hände, ich betete, ich nahm ihre toten Hände in meine, wir beteten gemeinsam!« Die Engelslegionäre sahen vor sich, wie Ranuccio die Hände der blutigen Toten umfasste, manche von ihnen glotzten den Mörder an, mit halb offenem Mund, als warteten sie darauf, dass er ihnen vorsprach, was er mit der Leiche gebetet hatte. Der Großabt zerschnitt die Fantasien der Brüder. »Satan hat dich geprüft. Du hast gegen ihn bestanden.« Seine Miene war frei von jedem Zweifel, seine Stimme stark und sicher. »Der Kampf gegen die Schlange und ihre Mitstreiter ist ein grausamer Kampf, Bruder Ranuccio.« Er wandte sich an alle. »Ihr wisst, meine Brüder, dass wir im Krieg sind und dass dieser Krieg nicht mit unbefleckten Händen zu gewinnen ist. Unsere Welt steht am Abgrund. Die Seelen der Menschen haben sich
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