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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen
Autoren: Gerd Heidenreich
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verlorenen Geister und gib ihm den Sieg.« Wenn der Großabt vor Freude über den Fegefeuer-Ablass sich nach dem Gebet mit zwei doppelten Whisky belohnte, konnte er den Huf des Teufels durch den Petersdom donnern hören, den Satansschwanz sehen, wie er sich dort über den Boden schlängelte, das Teufelsmaul, das auf die Pietà des Michelangelo spuckte. Er konnte das Siegesgelächter des gestürzten, schwarzen Engels hören, das in die Kuppel hinauf flog. Doch er sah auch, wie die Gottesmutter aus der Lichtflut des göttlichen Himmels herab ihm, Petrus Venerandus, das Schwert reichte, damit er seine Legion sammelte und mit der Inquisitio Haereticae Pravitatis den Krieg, den letzten und endgültigen Krieg gegen die Schlange und ihre Schattenwelt begann.
    Er sah, dass der Albtraum Leos sich erfüllt hatte: Satan war überall tätig. Abtreibungsgesetze, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Genmanipulation, Islamisierung, öffentliche Pornografie, Verhöhnung der Heiligen, Leugnung der Schöpfung! Vom Vatikan kam keine Gegenwehr, der Heilige Stuhl war verwaist, alle selbst ernannten Statthalter Christi nach Pius XII. waren Lakaien des Teufels. Die Heilige Jungfrau selbst hatte Gottes Schöpfung der Legio Angelorum überantwortet. Nun lag das Rettungsamt in den Händen von Petrus Venerandus. Er hatte dieser Aufgabe sein Leben geweiht und war entschlossen, härter zu sein als die Mitglieder von Opus Dei, die als »stählerne Keulen in samtenem Futteral« ihre Ziele »mit heiliger Unverschämtheit« verfolgten. Inzwischen gab es an vielen Orten Gemeinschaften der Engelslegion. Petrus selbst wechselte regelmäßig seinen Wohnort. Nie hielt er sich länger als drei Jahre in einer Stadt auf, die er danach auswählte, ob man in ihr unauffällig ein großes Anwesen, möglichst etwas außerhalb, günstig erwerben konnte. Wenn am Ort weitere Engelslegionäre angeworben waren, verkaufte er das Haus und zog weiter. Die geheimen Gruppen von Brüdern, die er hinterließ, erwarteten seine Befehle und bezahlten regelmäßig für die »Marienkollekte«, mit deren Geldern die Inquisition ihre Ausgaben deckte. Jeder Legionär musste eine hohe Lebensversicherung zugunsten der Engelslegion abschließen. Nur wenige lebten nach Ordensregeln in Wohngemeinschaften. Die meisten führten ein normales Bürger-leben, einige waren verheiratet, hatten Kinder. Sie konnten Jahre untätig bleiben, erfuhren jedoch von den Hinrichtungen, die im Namen der Inquisitio Haereticae Pravitatis vollzogen wurden, und warteten auf ihren Einsatz. Wenn die Jungfrau Maria sie brauchte, würden sie handeln. Sie würden nicht fragen, warum sie töten sollten, sie würden es einfach tun.
    Petrus Venerandus zog sich in seine Räume im ersten Stock zurück. Vom hinteren Zimmer, in dem sein Bett stand, überblickte er den westlichen Teil des Parks. Im vorderen konnte er von seinem breiten Schreibtisch am Fenster nach Osten sehen: alte Rosenhecken und Rasenflächen, geteilt durch die Auffahrt mit hellem Kies, die von den schmiedeeisernen Torflügeln her auf das Haus zuführte. Die Gitter waren zur Nacht von Giovanni Salviati geschlossen worden. Er war für das Seewasseraquarium zuständig und kümmerte sich auch um die beiden Schäferhunde. Wie an jedem Abend hatte er sie aus dem Zwinger gelassen. Jetzt strichen sie unruhig durch den gelben Schein der beiden Torlampen. Petrus setzte sich an seinen Schreibtisch, schaltete seinen Computer ein und gab, als die Aufforderung erschien, sein Passwort ein: »sedisvak«. Er wartete, bis das System geladen war, und klickte dann einen, durch das zusätzliche Passwort »apage« gesicherten Ordner mit dem Titel »confessiones« an . Das Bild eines Wappens erschien: ein grüner Bischofshut über einem blutroten Schild, mit rechts und links jeweils sechs herabhängenden Quasten. Den Platz hinter dem Schild, wo in den üblichen bischöflichen Wappen der Krummstab mit Velum als Zeichen des Guten Hirten zu sehen ist, hatte ein großes, auf die Spitze gestelltes Schwert eingenommen. Auf dem Schild selbst war ein Kreuz aus rohen, dicken Ästen aufgerichtet. Das hatte er sich vom Siegel der spanischen Inquisition ausgeliehen. Doch wo jene links neben dem Kreuz einen Olivenzweig als Hinweis auf die mögliche Gnade eingefügt hatte, brannte hier eine Flamme, ebenso wie auf der rechten Seite. Petrus Venerandus hatte es so verfügt: Die Inquisitio Haereticae Pravitatis kannte keine Gnade. Sie kannte nur Feuer und Schwert. Nach einer Nacht, die
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