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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen
Autoren: Gerd Heidenreich
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einen Ausdruck entspannter Ruhe. Ja, dies war Janine O’Hearn, so hatte er sie sich vorgestellt. »Excusez-moi«, flüsterte er, »excusez-moi.« Der Schwindel fuhr in seinen Kopf, als ob ein eingesperrtes Tier darin herumraste. Seine Erinnerung erwachte.

II Die Legion der Engel
    »Pater, peccavi!«
    Mit dem Aufschrei hatte sich der Mann auf den spiegelnden Holzboden geworfen und die Arme vom Körper gebreitet. Seine Kutte lag als dunkler Flügel über ihm. Der Großabt betrachtete schweigend den Täter, der sich wie ein Kandidat zur Priesterweihe vor ihm prosterniert hatte. Grenzenlose Liebe erfüllte ihn für den jungen Engelslegionär. Pater Ranuccio Farnese hatte eine schwere Sünde auf sich genommen, um der neuen Inquisition zum Sieg zu verhelfen. Und wie bereitwillig, wie freudig hatte er es getan! Petrus Venerandus stand von seinem erhöhten Stuhl auf, stieg die zwei Stufen des Podests herab und sah sich in der Halle um. Er war mit Ranuccio allein. Neben der breiten, geschwungenen Eichentreppe, die zur Galerie und den Räumen im ersten Stock führte, summten die Filterpumpen und schlürften die Abschäumer des großen Seewasseraquariums, dessen bunte Welt aus Anemonen und Anemonenfischen, Steinkorallen Goniopora und Turbonaria , einer hellbraunen Lederkoralle Sarcophyton , Gelbschwanzdemoisellen, Mandarinfischen, Mirakel-barschen und verschiedenen Kegelschnecken jedem, der hier eintrat, die Schöpfung Gottes vor Augen führte.
    Das Aquariumlicht füllte die Halle mit Wasserreflexen und bläulichem Schein wie mit dem Abglanz des Himmels. Der Großabt sah, wie richtig und wohlgeordnet alles in seinem Haus war, das er unter das Evangelium des Johannes gestellt hatte: »Da entbrannte im Himmel ein Kampf. Michael und seine Engelslegion erhoben sich gegen den Drachen. Der Große Drache wurde besiegt, die uralte Schlange, Satan heißt sie oder Belial.« Er wusste, dass die Engelslegionäre, die ihm den Beinamen Venerandus , der Verehrungswürdige, verliehen hatten, hinter den Türen warteten und horchten. Nach Ranuccios Absolution würden sie herbeikommen und jubeln. Die Älteren, von denen einige die Prüfungen des jungen Mitbruders längst hinter sich hatten, würden gemächlich von der Galerie herabsteigen, zufrieden lächelnd, eine Hand am Geländer. Sie alle waren Inquisitoren. Für einen neuen Ketzerprozess hatte Petrus Venerandus sie zusammengerufen. Zuvor aber feierten sie die Heimkehr des jungen Engelslegionärs Ranuccio im Dienst der Jungfrau Maria. Der Großabt schlang den Knoten im schwarzen Gürtel, dem Zingulum, um die dunkelblaue Kutte neu, strich das weiße Skapulier mit dem roten Schwertwappen darauf glatt, hob sich die Kapuze von hinten über den Kopf, sodass sie Schatten auf sein Gesicht warf, faltete die Hände vor der Brust, neigte sich dem Liegenden zu und sagte leise: »Inquisitio Haereticae Pravitatis renovabitur. Du hast den Auftrag erfüllt, den die allerseligste Jungfrau dir durch uns erteilt hat?«
    Ranuccios Körper wurde geschüttelt. Er drehte seinen Kopf zur Seite, um sprechen zu können. Speichel rann ihm aus dem Mundwinkel, er stieß seine Sätze in Bruchstücken hervor, schnappte dazwischen nach Luft. »Im Namen Jesu Christi, unseres Gottes und Herrn, und durch die Fürsprache der unbefleckten Jungfrau und Gottesmutter Maria, des heiligen Erzengels Michael, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und aller Heiligen habe ich die arglistigen Angriffe des Teufels abgewehrt!« Der Verehrungswürdige nickte: »Du hast die Schlange überwunden und kehrst ein in mein Herz. Draconis superator! Nun lass uns bekennen. Ich höre dir zu und durch mich hört dich die Jungfrau.« »O mildester Vater! In Vereinigung aller Bußwerke, die jemals aus Liebe zu dir geschehen sind, opfere ich dir diese meine Beichte und Buße und bitte dich, du wollest sie durch die glorreiche Fürbitte der allerseligsten Jungfrau Maria mir zum Segen geraten lassen. Was ich getan habe, tat ich zur Erlösung der heidnischen Welt aus den Fallstricken des Bösen.« Immer wieder unterbrach Schluchzen die Beichte Ranuccios. Der Großabt sah auf ihn nieder. Er hatte nie an ihm gezweifelt. Auf kaum einen konnte er sich so verlassen wie auf diesen kräftigen jungen Mann, dessen Seele jetzt nach Absolution schrie. Keiner handelte so zuverlässig, wenn es nötig war. Pflichterfüllung, Gehorsam, unerbittlicher Vollzug, Verschwiegenheit – die Summe der nötigen Tugenden traf man nicht bei jedem Bruder des Ordens an, auch wenn
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