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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter
Autoren: Renate Ahrens
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verboten. Ich sage nichts. Wenn Mutter wüsste, dass ich in einem Wagen nach München sitze. Wissen Ihre Eltern Bescheid? Ja, sicher, antworte ich, ohne zu zögern.
     
    Es liegen nur noch wenige Gepäckstücke auf dem Band, mein Koffer ist nicht dabei. Warum habe ich ausgerechnet heute so ein Pech? Ich sehe mich endlose Formulare ausfüllen und durch die Geschäfte irren, um mir etwas zum Anziehen zu kaufen. Wo würde ich hingehen? Das Einzige, was mir einfällt, sind die Kaufhäuser in der Mönckebergstraße. Dort haben Claudia und ich uns unsere ersten Lippenstifte gekauft. Hellrosa. In dem Augenblick entdecke ich meinen Koffer.
    Bei der Mietwagenfirma muss ich warten, bis ich an die Reihe komme. Vor mir steht ein altes Ehepaar. Hier oben im Norden ist das Wetter doch immer schlecht, schimpft die Frau, der Mann schweigt.
    Ich könnte entgegnen, dass es Ende August 1991 alles andere als schlecht war. Es war brütend heiß, so heiß, dass ich in Stillhorn einen Sonnenbrand bekommen habe, den ersten von vielen Sonnenbränden.
     
    Ein Ford Fiesta, hellblau metallic. Nicht zu ändern. Francesco hätte natürlich eine ganz andere Kategorie gebucht.
    Der Regen hat nachgelassen. Ich stelle mein Navigationsgerät ein und fahre vom Parkplatz. Die Straßenschilder haben etwas Vertrautes, sonst erkenne ich nichts.
    Ich biege in die Alsterkrugchaussee ein, der Name kommt mir bekannt vor. Dann sehe ich das Hotel. Sie haben Ihr Ziel erreicht, verkündet die Stimme. Noch lange nicht, denke ich. Dies ist nur eine Zwischenetappe.
     
    Die Frau an der Rezeption ist sehr jung. Sie studiert meinen italienischen Pass und das ausgefüllte Anmeldeformular.
Judith Wolf.
Mir fällt es jedes Mal schwer, meinen offiziellen Namen zu schreiben.
    »Sie stammen aus Hamburg?«
    Ich nicke, sehe ihr an, dass sie sich zwingt, nicht weiterzufragen.
    »Möchten Sie im Hotel frühstücken?«
    »Eventuell.«
    Sie informiert mich über die Zeiten und den kostenlosen W LAN -Zugang in den öffentlichen Bereichen, in den Zimmern ist er kostenpflichtig.
    »Schade«, murmele ich.
    »Wir wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt.«
    Ich gehe zum Aufzug. Hält sie mich für eine Geschäftsfrau? Dafür bin ich zu leger gekleidet. Für die Geliebte eines verheirateten Hamburgers? Kann sein. Oder spürt sie, dass meine Vergangenheit mich in diese Stadt zurückgeholt hat?
    Mein Einzelzimmer gleicht der Abbildung im Internet: modern, funktional, sauber. Ich bin dankbar für das Laminat, fleckige Teppichböden in Hotels sind mir ein Greuel.
    Ich rufe Francesco an, versuche, meiner Stimme einen hellen Klang zu geben.
    »Ich hatte dir gerade eine SMS schicken wollen. Wie war dein Flug?«
    »Gut.«
    »Warst du schon bei deinem Elternhaus?«
    »Nein.«
    »Vorhin fiel mir ein, hast du eigentlich noch einen Schlüssel?«
    »Den habe ich damals in die Alster geworfen.«
    Einen Moment sind wir beide still. Ich denke daran, wie leicht ich mich fühlte, als mein Schlüsselbund im Wasser verschwand.
    »Erinnerst du dich an irgendwelche Nachbarn?«
    »Ja, aber ob die da noch wohnen …«
    »Sonst klingelst du eben irgendwo. Die Leute sind bestimmt froh, wenn sich jemand bei ihnen meldet, der sich um das Haus kümmern will.«
    Will ich das? Mein Blick fällt in den Spiegel. Ich habe Schatten unter den Augen.
    »Übrigens schönen Gruß von meinem Vater.«
    »Danke.«
    »Er findet es sehr gut, dass du den Dingen in Hamburg auf den Grund gehen willst.«
    »Hast du ihm etwa alles erzählt?«
    »Ja. Warum denn nicht?«
    »Es ist etwas Privates … zwischen uns.«
    »Aber er hätte sich sehr gewundert, wenn ich am Samstagabend allein gekommen wäre.«
    »Du hättest irgendwas erfinden können, eine Migräne, eine Magenverstimmung …«
    »Das ist nicht meine Art.« Francescos Stimme klingt auf einmal kühl.
    »Trotzdem …«
    »Warum regst du dich so auf?«
    »Wenn dein Vater Bescheid weiß, ist gleich deine ganze Familie informiert.«
    »Es ist auch deine Familie.«
    »… Tut mir leid.«
    »Ich hätte doch mitkommen sollen, so nervös wie du bist.«
     
    Im Hotel-Café bestelle ich eine Tomatensuppe mit Basilikum und ein Mineralwasser. Francesco denkt, dass alles so einfach sei. Ich weiß nicht einmal, ob ich es schaffe, heute nach Winterhude zu fahren.
    Die Suppe schmeckt gut. Dazu gibt es warmes Baguette. Erst beim Essen merke ich, wie hungrig ich bin.
    Ich blättere im
Hamburger Abendblatt
und in der
Morgenpost,
nehme ein Schokoladeneis zum Nachtisch und einen
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