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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt
Autoren: Will Berthold
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Taschen um und traten rasch ihre Runde an. Sie wußten, ein ganzes Volk hatte sich zu dieser Zeit angewöhnt, am Fenster zu stehen und auf den Briefträger zu warten.
    Der Postschaffner Arthur Kleebach kannte und liebte das Revier, durch das er seit vielen Jahren zweimal täglich treppauf und treppab ging. Er war 50, untersetzt und beliebt. Er freute sich mit den Kunden, denen er Geld bringen durfte, und sie mochten ihn auch, wenn er es zu kassieren hatte. Er wußte, daß er bei der alten Dame, die ganz allein stand, sehr behutsam klopfen mußte, da sie sich fürchtete, und er winkte der Mutter von nebenan mit dem Feldpostbrief ihres Sohnes schon von weitem zu. Er brachte Mahnungen in das Haus und Zeitungen, Prospekte und Grüße, Lebenszeichen und Todesnachrichten. Der Krieg hatte die Post zum ganz großen Umschlagplatz des Schicksals erhoben.
    Aus den offenen Fenstern kam laute Marschmusik. Auch daran hatte sich Briefträger Kleebach längst gewöhnt. Die Zeit war groß und laut. Sie schmetterte mit Blech und haute mächtig auf die Pauke. Die Fanfaren der Sondermeldungen hatten es schwer, das Tempo der deutschen Truppen zu halten. Die Hakenkreuzfahnen blähten sich im Selbstbewußtsein; aus Besonnenen wurden Fanatiker, aus Skeptikern Optimisten, und die Gegner des Systems begannen lautlos zu verzweifeln. Im Inland stand man stramm, im Ausland zog man den Kopf ein. Ein Gefreiter zeigte seinen Generalen, wie man einen Blitzkrieg führt. Doch heute sollte er eine Panne erleiden. In wenigen Stunden würde es zum Fiasko von Arras kommen.
    Arthur Kleebach war fast fertig mit seiner Runde. Ein paar Stunden Ruhe, dann kam die Nachmittags-Zustellung. Das war sein Turnus seit vielen Jahren. Er konnte nicht sagen, wie viele Paar Schuhe er im Dienst durchgelaufen hatte. Vor kurzem sollte er durch einen jüngeren Beamten ersetzt werden, aber Kleebach hatte sich dagegen gewehrt, denn er wollte sich nicht von den Menschen trennen, die ihm vertraut geworden waren, nicht von dem kleinen Gespräch unter der Tür und nicht von dem flinken Wort im Weitergehen. Mochten viele seiner Aufgabe für stumpfsinnig halten, für ihn war sie die interessanteste, die es gibt. Er war in jeder Wohnung zu Hause, wenn auch nur als flüchtiger Zaungast an der Tür. Im dritten Stock von Nummer 15 erhielt er gelegentlich ein Gläschen Wein, und die Witwe von Nummer 21 kochte eine Tasse Kaffee für ihn mit, ob er ihr freudige Nachricht überbrachte oder nicht.
    Kleebach war ein Menschenkenner geworden auf seinem täglichen Gang. Er wunderte sich längst nicht mehr darüber, daß er von denen die größten Trinkgelder erhielt, die er am wenigsten bedachte, und von anderen, für die er ständig ganze Bündel Post anschleppte, gar nichts. Der tägliche Umgang mit seinen Kunden schuf Bekannte, fast Freunde.
    Dienst und Familie, das waren die beiden Pole, zwischen denen sein Leben abspulte. Mehr wollte er nicht, und mit beiden war er zufrieden.
    Noch zwei Häuser. Kleebach holte kräftiger aus. Drei Zeitungen noch und zwei Briefe. Er wohnte in seinem eigenen Zustellbezirk und war heute leer ausgegangen. Aber gestern hatte ihnen erst Gerd und vorgestern Fritz geschrieben, die Zwillinge, die beide den Feldzug im Westen mitmachten, der eine beim Heer und der andere bei der Luftwaffe. Außer ihnen gab es noch Thomas, den Ältesten, der seinen Steckschuß aus Polen im Berliner Heimatlazarett ausheilte und deshalb außer Gefahr war; Alfred, genannt Freddy, den Gigolo; Achim, den Pimpf, und Marion, das Nesthäkchen. Und vor allem gab es noch Maria Kleebach, seine Frau, die die ›Orgelpfeifen‹ zur Welt gebracht hatte, die nach außen so eisern zusammenhielten, so gegensätzlich sie auch waren. Daß es ihnen allen einmal besser gehen sollte als den Eltern, war Arthur Kleebachs Wunsch, der sich zu erfüllen schien.
    Thomas, der Philosoph, war schon Jung-Ingenieur, als ihn der Stellungsbefehl erreichte, und hatte freiwillig für die jüngeren Geschwister die Hälfte seines Einkommens abgetreten. Gerd und Fritz waren mit Hilfe eines Stipendiums spielend zum Abitur gekommen. Marion arbeitete als Sekretärin, Achim besuchte die siebte Klasse der Oberschule, und Freddy, der mit der mittleren Reife von der Penne abgegangen war, würde es später sicher auch zu etwas bringen.
    Wieder stand Kleebach vor einer Tür und klingelte. Eine Frau im Morgenrock machte ihm auf.
    »Guten Morgen, Frau Birner«, sagte er und reichte ihr den Feldpostbrief. »Sicher von Ihrem Mann …«,
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