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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt
Autoren: Will Berthold
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die britischen Infanteristen mit den schrägen Stahlhelmen erkannte, daß man die Sehschlitze deutlich sah und die Mündung der Bordkanone wie eine tote Augenhöhle gähnte.
    Rechts ratterten die Sturmgeschütze los. Der Kompaniechef übersah wie immer die Bescherung. Erstmals setzten die Briten Panzer ein, deren Stahlplatten der deutschen Pak trotzten. Nicht nur an dieser Stelle, im ganzen Frontabschnitt, Hunderte von Panzern und zum Teil schon 30, 40 Kilometer hinter der deutschen HKL. Der junge Offizier wußte noch nicht, daß die Engländer und Franzosen, noch einmal alles in den Kampf werfend, an bereits vier Stellen durchgebrochen waren, daß die deutsche Führung das Debakel zu spät erkannte und nicht genügend Artillerie und Flugzeuge hatte, um es zu stoppen. Aber er sah, daß seine Männer an der Pak von den heranrollenden Panzern in Grund und Boden gestampft wurden, wenn er nicht sofort etwas noch so Sinnloses unternahm.
    Er fuhr den Engländern in die Flanke, seinen anderen Sturmgeschützen im Führungswagen vorausfahrend, schoß mit seiner 8,8 den vordersten Panzer seitwärts in Klumpen, nahm einen zweiten aufs Korn, zog plötzlich das Feuer auf sich und stellte sich wie ein scheuendes Pferd auf die Hinterräder, Kavalkade des Todes, bevor er von seiner eigenen Munition in Fetzen gerissen wurde.
    Vier, fünf Tommies änderten die Fahrtrichtung, auf die anderen, deutschen Selbstfahrer-Lafetten zu, aber das Gros rollte weiter, der Pak entgegen.
    Kleebach schrie, weinte, fluchte, schoß und zitterte. 80 Meter noch … 70 … Er starrte in den Schlund der Kanone, die gleich aufblitzen mußte. Er wollte leben, wollte treffen, wollte siegen, wollte entkommen, mußte zielen und wußte, daß es nichts mehr half.
    50 Meter noch.
    Keine Deckung mehr. Keine Flucht. Das vordere Ungetüm drehte sich auf einer Kette. Sein Fahrer schaltete herunter. Der Motor heulte knirschend auf. Und die Männer in der deutschen Pak-Stellung begriffen, daß der mörderische Stahlkasten es verschmähte, sie abzuknallen und sie einfach in den Boden wälzen wollte. Sie waren wie gelähmt und lagen jetzt schon fast im toten Winkel.
    Die letzte Granate im Lauf.
    Abschuß! Der letzte, verzweifelte Versuch.
    Aufschlag. Die surrenden Splitter des eigenen Geschosses wirbelten ihnen im Abprall um die Ohren.
    Aus. Vorbei. Kleebach stand halb gebückt, erledigt, geschlagen.
    So sah ihn Böckelmann, der Freund. Und ausgerechnet er, der sonst wohl wußte, wann man die Schnauze tief in den Dreck zu bohren hatte, sprang hoch, aus der Deckung heraus, war mit zwei, drei Sätzen an den Panzer heran, knallte ihm eine geballte Ladung unter den Turm, wetzte weg, wurde beschossen, blieb liegen, rappelte sich hoch und überschlug sich zwei Meter vor seinem Loch, während jetzt der Turm leicht schwankte, sich langsam hob und wie ein Zylinder im Windstoß wegflog.
    Kleebach erfaßte nicht, daß er gerettet war, denn von rechts nahm ein zweiter Panzer Kurs auf ihn. Das Ungetüm war noch acht Meter entfernt. Er hörte, wie der Fahrer Vollgas gab, und er sah die Ketten, nichts als Ketten, die über seinen Körper rollen würden, und die widerliche Bordkanone, mit der ihm der Krieg eine lange Nase schnitt, und er wußte, daß er seine Mutter nie mehr wiedersehen würde und schrie so entfesselt, wie die Soldaten auf der anderen Seite, bevor sie zu Klumpen zusammenschmorten, und er sah sein eigenes Blut in den Dreck rinnen, und er spürte, wie sein Herz stillstand und seine Beine nicht mehr liefen, und er sah noch einmal in die Schlitze der Panzerplatten, erkannte die Kokarde noch, sah Raupen, bloß Raupen, nach deren Gliedketten sein Leben zählte und die sich drehten wie ein Fließband der Vernichtung- und dann sah er nichts mehr …
    Am 14. Juni 1940, dem gleichen Tag, an dem sich die Eltern Kleebach vor fünfundzwanzig Jahren das Jawort gegeben hatten, ergab sich Paris den deutschen Truppen, und die Familie hängte, wie alle Nachbarn, die Fahnen zum Fenster heraus.
    Alles schien sich verschworen zu haben, um den Familientag zu verschönern: Der Vater, der sich heute einen dienstfreien Tag genehmigte, war gerade noch rechtzeitig zum Oberpostschaffner befördert worden. Thomas, der Älteste, war in Genesungs-Urlaub, Freddy hatte eine Gans aufgetrieben, Achim ein paar Flaschen Wein besorgt und Marion, die Jüngste, dem Konditor eine große Torte abgerungen.
    Fritz schrieb häufig; und dann war vorgestern auch noch der Brief von Gerd eingetroffen, den der Junge
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