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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt
Autoren: Will Berthold
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Hoffnung, daß man einen kleinen Teil des Gebäudes vielleicht doch durchbringen würde: Arthur Kleebach, der gescheiterte Vater, würde sicher eines Tages aus dem Gefängnis wiederkommen; Fritz hatte eine Chance, in Kanada den Krieg zu überleben, und vielleicht war Achim doch nicht in Stalingrad gefallen und bloß in russische Gefangenschaft geraten. Und dann wurde der letzte, furchtbare Schlag, die Todesnachricht von Thomas, zunächst ein klein wenig und dann noch stärker gemildert; Luise, seine Frau, erwartete ein Kind, das nie seinen Vater sehen, aber eine zärtliche, liebevolle Großmutter haben würde.
    Und auch Marion half Maria Kleebach sehr. Zwar wirkte sie mitunter zu alt für ihre Jugend, aber sie bemühte sich, Heinz, ihrem Mann, und ihrer Mutter soweit wie möglich beizustehen.
    »Vielleicht ist die Eisenbahnstrecke unterbrochen?« sagte Marion jetzt.
    »Er hätte kein Telegramm schicken sollen«, entgegnete Heinz Böckelmann, »in dieser Zeit weiß man doch nie, wann man ankommt.«
    »Hoffentlich gibt das Wohnungsamt das beschlagnahmte Zimmer für ihn frei«, sagte die Mutter, »und im Keller haben wir sogar noch ein paar Flaschen von dem Wein, den er uns damals …«
    »ACHTUNG! ACHTUNG!« rief, die Stimme aus dem Äther, »Flugrichtung des feindlichen Bomberverbands geändert: vermutliches Angriffsziel jetzt Berlin …«
    »Auch schon wieder«, versetzte Böckelmann.
    »Ich richte gleich die Decken her«, erwiderte Marion.
    »Gut, daß Freddy nicht gekommen ist«, sagte Maria Kleebach leise, »ein schöner Empfang wäre das für ihn geworden.«
    Im gleichen Moment löste das gräßliche Geheul der Luftschutzsirenen den Vollalarm aus, und die drei Kleebachs gingen ohne Hast und Panik nach unten, und selbst der Blinde schaffte es mit eigener Kraft, denn er war den Weg schon so oft gegangen, daß er ihn ganz allein fand …
    Freddy Kleebach saß mit Gerda in einer Art Nachtlokal, als der Luftalarm ausgelöst worden war. Das Mädchen wirkte einen Moment erschrocken, aber der Gigolo lachte nur geringschätzig.
    »Die können uns die Laune nicht verderben«, kommentierte er, »Berlin ist groß, und jede Bombe trifft ja nicht.«
    »Tut mir leid«, sagte der Wirt, »ihr müßt in den Keller.«
    »Blödsinn!« versetzte Freddy.
    Im Hintergrund hörte man die Abschüsse der Flak. Scheinwerfer tasteten den Himmel ab. Weit entfernt warfen die ›Liberators‹ einen Bombenteppich. Es hörte sich an, als ob ein Zug durch eine Schlucht raste, und es ging auch so schnell.
    Die Gäste des Lokals, in dem man fast noch alles bekam, wenn man mit dem Besitzer gut stand, hatten keine Lust mehr auf Selbstgebrannten Schnaps und schwarze Zigaretten, auf Musik und Stammgericht. Sie strömten wild nach unten, und Freddy hielt Gerda, die aufgesprungen war und im blinden Herdentrieb den anderen nachsetzen wollte, fest.
    Und auf einmal waren sie beide ganz allein.
    »Komm«, bat Gerda.
    Der Gigolo lachte, hob das Glas. »Trink noch einen Schluck!«
    »Prost«, erwiderte sie und nahm auch ihr Glas zur Hand.
    Er legte den Arm um ihre Schultern und küßte sie. Ihre Lippen waren weich, ihr Mund von der Sehnsucht geöffnet. Sie hatte Angst, aber die Nähe des Mannes verdrängte sie. Sie sah seine Augen, spürte seine Sicherheit und seinen Arm, und Freddy hatte das Licht gelöscht, und die Kerzen brannten, und kein Bombenteppich war mehr zu hören. Angegriffen wurde jede Nacht, dachte Gerda, und da war man allein, aber heute saß er an ihrer Seite … und Berlin ist groß, und jede Bombe trifft ja nicht, und es würde in der Zeitung stehen: »Die Zivilbevölkerung hatte Verluste«, aber wer es las, hatte es überlebt, für dieses Mal, und viele der Gefallenen mochten bereuen, daß sie vorher zu viel versäumt hatten.
    »Doch nicht hier«, sagte Gerda.
    »Überall mit dir.« Freddy lachte. »Ich muß schon sagen«, sagte er, »ich halte nichts von diesen ewigen Fliegeralarmen, aber heute kommt er mir wie gerufen.« Er zog sie fester an sich.
    Gerda lehnte sich zurück.
    »Hast du Angst?« fragte er.
    »Nein«, erwiderte sie, »wenn du da bist.«
    »Wie alt bist du?«
    »Vierundzwanzig.«
    »Und was machst du?«
    »Das siehst du doch … Uniform, und dabei möchte ich leben. Weißt du, aber nun hat man mich dienstverpflichtet.«
    »Morgen«, entgegnete der Gigolo, »heute will ich nichts mehr davon hören …«
    Der erste Pulk war seine tödliche Last im Osten der Stadt losgeworden und flog jetzt heimwärts, Richtung England, 500
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