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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt
Autoren: Will Berthold
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Moment setzte der Feuerzauber ein. Die Nachbarkompanien starteten ihren Scheinangriff. Krepierende Geschosse übertönten die Stimme, Blitze zuckten, Scheinwerfer flammten auf, Leuchtkugeln zerplatzten. Und der Oberst saß hinten, starrte auf die Uhr und wartete auf die Erfolgsmeldung, die ihn vermutlich nie erreichen würde, was er auch schon im voraus gewußt hatte.
    Die Kompanie Kleebach lag im Niemandsland, wurde jetzt von dem gleißenden Lichtstrahl der Scheinwerfer erfaßt und suchte Deckung, zog das konzentrische Feindfeuer auf sich, und wer die Nerven verlor, sprang auf und wurde vom Geschoßhagel sofort zerfetzt. Und wer sie behielt, kauerte in Deckung und setzte wieder einmal auf die Hoffnung, auf den Entsatz von hinten, und viele Hände fuhren in Gedanken dem Kommandeur noch einmal an die Gurgel, bevor sie kalt und klamm wurden.
    Aber die Russen waren diesmal schneller als die deutsche Verstärkung. Sie griffen zuerst an, aus der Bereitstellung heraus, vermutlich längst vorbereitet auf den nächtlichen Handstreich. Und die letzten Überlebenden gruppierten sich in einem Trichter, den der Kompanieführer noch hielt, aus Gewöhnung, denn er konnte nicht entscheiden, ob es besser sei, seinen Bruder Achim für einen deutschen Aufhängestab zu schnappen, oder von den Rotarmisten, auf deren Seite Achim stand, erschossen zu werden.
    Bevor er noch eine Entscheidung treffen konnte, erfaßte ihn die Leuchtspurgarbe und warf ihn auf den Rücken. Es war seine vierte und letzte Verwundung, und er war sofort tot. Vielleicht dachte er an Luise, seine Frau, denn sein weißes, blutleeres Gesicht wirkte seltsam weich und entspannt, so als ob es einer letzten Sehnsucht nachhorchte.
    Und dann machten die Granaten beiderseits die Stelle, an der die dritte Kompanie gefallen war, zu ihrem Schnittpunkt, und übernahmen gleich die Bestattung ohne Birkenkreuz …
    Sie hatte ein hübsches, volles Gesicht und ein schnelles, williges Lächeln. Sie war ein Mädchen in Uniform, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, gierig auf das Leben und nicht kleinlich im Anfassen. So sah sie Freddy Kleebach, dem nie eine Gelegenheit entging, beim Aussteigen in Berlin, Anhalter Bahnhof.
    Die Uniform stand ihr gut. Das Blau paßte zu ihren hellen Haaren, und der straffe Sitz gab ihrer Figur die Kontur. Sie trug einen Kunstlederkoffer in der Hand, mit dem sie sich im Gedränge festklemmte.
    Freddy, der Gigolo, lächelte, war mit einem Satz heran und half ihr wortlos. Sie betrachtete ihn nur ganz kurz von der Seite, und in dieser Sekunde hatte sie auch schon erfaßt, daß er ihr gefiel, und Freddy, der sich auf solche Meditationen verstand, wußte, daß er es schaffen würde. Er war vielleicht nicht der sympathischste der Kleebach-Söhne, aber der gerissenste, und damit der Überlebende.
    Vier Jahre hatte er mit Erfolg den Heimatkriegsschauplatz gehalten; und erst vor einem halben Jahr schickte ihn der ›Heldenklau‹ bei einer überraschenden Inspektion an die Front. Hier hatte er unruhige Monate verbracht und es nicht aufgegeben, darüber nachzudenken, wie er der blutigen Sterberei entlaufen könnte. Der Krieg war ihm schon von Anfang an zuwider, und Freddy hätte nicht erst seine Wirkung im bescheidenen Familienleben der Kleebachs erleben müssen, um zu einem pfiffigen Pazifisten zu werden.
    Er wollte nicht wie Gerd in Frankreich begraben sein und nicht wie Fritz in einem kanadischen Gefangenen-Camp vegetieren müssen; er wollte nicht wie Achim in Stalingrad vermißt sein und nicht wie Thomas, der Älteste, in Russland bleiben. Er wollte sich durchschlängeln, davonkommen, überleben.
    Und auf einmal hatte er, ohne sein Dazutun, eine dicke Chance: Er wurde zum Rapport bestellt und gefragt, ob er von einer neuen Anordnung des Führers Gebrauch machen wolle. Sicherheitshalber hatte der Gigolo sie zweimal durchgelesen und dann schlicht erwidert: »Jawohl, Herr Hauptmann.«
    Der Blutzoll, den Deutschland auf allen Schlachtfeldern Europas bringen mußte, paßte keineswegs in das biologische Aufforstungsprogramm der Partei, und so wurde, sozusagen auf dem Verwaltungswege, der Fortbestand der Familie dekretiert: wenn drei Söhne gefallen waren, konnte der vierte aus der Wehrmacht entlassen werden oder hatte zumindest Anspruch darauf, in der Etappe verwendet zu werden. Freddy wußte nicht, daß seine Mutter auf Betreiben des Ortsgruppenleiters Rosenbaum den Antrag gestellt hatte. Aber er sah sofort, welche Chance sich ihm bot, und so war er jetzt nach
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