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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt
Autoren: Will Berthold
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Rotwein … na, und dann, ein frisches Hemd am Leib, Schlag an der Hose, Urlaubsschein in der Tasche, und – Mademoiselle wu-lä-wu und so …«
    »Von mir aus«, brummelte Kleebach.
    »Die Französinnen sollen doch die Wucht sein.«
    »Gerede.«
    »Tu doch nicht so!« fuhr ihn Böckelmann gereizt an, »bist doch auch scharf auf 'ne Pariserin, oder?«
    »Nee«, versetzte Kleebach großspurig.
    »Du machst dir bloß nichts aus ihnen«, lachte der Freund halblaut, »weil sie sich nichts aus dir machen.«
    Die beiden gingen auseinander, auf befohlene Distanz.
    Kleebach, der Junge, war ein Jahr Soldat und seit zehn Tagen an der Front. Sie hatten ausgereicht, ihm zu zeigen, wie sich's stirbt. Im übrigen war er guter Durchschnitt, wollte kein Held werden, aber auch nicht feige sein. Er war schmal und hager, hatte eine biegsame Figur und ein weiches Gesicht. Die letzten zehn Tage hatten seine Züge herber gemacht und die Kerben an den Mundecken verstärkt. Die Feuertaufe hatte sich für den jungen Berliner nicht als so hochtrabend erwiesen wie im Schwulst der PK-Berichte. Als alles vorbei war, wechselte Kleebach schlicht die Unterhose, das einzige Mal übrigens, und der Fall war für ihn erledigt.
    So jung er war, hatte ihm die Zeit schon einiges beigebracht: wie man sich klein macht, wie man den Pernod unverdünnt trinkt, wie man die Erkennungsmarke eines Gefallenen auseinanderbricht, wie man den Kunsthonig unbemerkt wegwirft, wie man mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Diensteifer aufweist, und wie man hübschen Französinnen nachsehend vergißt, daß man auf ihre Brüder schießt …
    Die Luft war weich, der Abend mild. Am Himmel trat der Halbmond stärker hervor und versilberte die Dächer der Gehöfte. Kleebach sah am Großen Bären entlang. Dahinten könnte Berlin liegen, dachte er. Die Mutter, der Vater und die anderen fünf Kleebachs – vielleicht sehen sie auch gerade nach oben. Er spürte die Ruhe, die sich wie eine Daunendecke über die Landschaft breitete und Stellungen, Bunker, Ruinen, Befehle und Gräber zudeckte. Wer es schaffte, zog sich auf der Flucht vor dem Morgen diese Decke über den Kopf. Irgendwo hämmerte ein einsames Maschinengewehr, aber so weit entfernt, daß es die Panzerjagdeinheit nichts anging. Am Horizont zerplatzte eine Leuchtkugel, ihre Funken flogen auf drei hohe Pappeln in der brettebenen Landschaft, die ein paar Sekunden lang wie ein Friedhof wirkte, was traurig stimmte.
    Kleebach sah zu den Blütenkerzen in der wuchtigen Baumkrone auf. Es würde in ein paar Monaten reichlich Kastanien geben, aber er wußte nicht, ob er im Herbst noch lebte. Er sah sich um und atmete schwer. Flieder, dachte er, weißer Flieder, die Lieblingsblumen seiner Mutter. Er ärgerte sich über den Duft, der sich an den Krieg verschwendete.
    Im Haus gegenüber sah man plötzlich spärliches Licht. Der matte Schein, der aus dem Fenster fiel, war hell genug, um feindliche Granaten auf sich zu lenken.
    »Was soll denn das?« schimpfte Kleebach und wollte auf das Haus zugehen.
    Heinz Böckelmann hielt ihn am Arm fest. »Sieh dir das an …«
    Man konnte nur einen Schatten durch die Gardine sehen, einen Umriß, den Scherenschnitt einer rührend schmalen Figur, die noch mädchenhaft wirkte und schon fraulich war. Zwei Hände, die sich hoben, ein Kopf, der sich leicht nach unten beugte, daß die langen Haare vornüber fielen, zwei dünne Arme, die sich wieder nach oben reckten, als suchten sie einen Halt, als wollten sie sich ergeben.
    Sie standen und starrten.
    »Mensch«, sagte Böckelmann ergriffen.
    Dann ging das Licht aus. Die beiden Posten konnten den Blick nicht vom Fenster wenden, sahen, wie sich der Vorhang teilte, bemerkten ein junges Mädchen, das leicht vorgebeugt, wie lauschend, in die Nacht starrte, und waren ihm so nahe, daß sie glaubten, das Gesicht mit den Händen streicheln zu können.
    Die Französin bemerkte die beiden Soldaten und warf mit einem harten Ruck das Fenster zu.
    »So etwas«, sagte Böckelmann.
    Sein Freund schwieg.
    Er roch nicht mehr den Flieder allein, er spürte den Frühling. Er spürte ihn in den Fingerspitzen, er legte sich auf den Brustkasten, er machte den Blick trunken, und er machte ihn bitter auf den Krieg, der ihm die Jugend stehlen wollte und sah das Recht zu leben, zu lieben, zu warten, zu träumen, zu küssen, Zärtlichkeiten zu empfangen und wiederzugeben.
    »Das war die aus der Bäckerei … die Blonde …«, sagte Böckelmann, »weißt schon, die den
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