Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
»von wem?«
    »Von Hauptfeldwebel Weber, Herr Oberleutnant.«
    »Aber der ist doch …«, sagte der Offizier und brach ab, weil seine Zunge beinahe die eigene Order übertreten hätte. »Kommen Sie, Kleebach«, setzte er schnell hinzu und ging mit ihm auf den Gang des Schulhauses. »Schon wieder was ausgefressen?«
    »Jawohl, Herr Oberleutnant … ich hab' auf Wache gesprochen.«
    »Ein Selbstgespräch, was?«
    »Nein, Herr Oberleutnant.«
    »Also, mit wem haben Sie gequasselt?«
    Der Gefreite Kleebach zögerte. Sein Chef merkte, daß er einen Kameraden decken wollte, und lächelte verständig. »Schon gut«, entgegnete er, »langweilig, so 'ne Wache …« Er kratzte sich am Hinterkopf. »Hab's nicht erfunden«, setzte er hinzu, »und bald ist der Zauber vorbei.« Er betrat mit Kleebach seine Unterkunft und nickte. »Haun Sie ab … und lassen Sie sich nicht mehr erwischen!«
    Der junge Gefreite zögerte.
    Der Offizier sah es, fummelte mit dem Lineal an seiner Erkennungsmarke herum, die wie ein Ritterkreuz um den Hals hing, nur tiefer, und sagte spöttisch: »Was ist … müssen Sie aufs Klo?«
    »Nein, Herr Oberleutnant … bitte Herrn Oberleutnant melden zu dürfen, daß meine Eltern am 14. Juni silberne Hochzeit haben …«
    »Kann ich was dafür?« fragte der Offizier gelassen.
    »Ich habe vier Brüder und eine Schwester«, fuhr Kleebach fort, »und alle kommen zusammen an diesem Tag … und da wollte ich …«
    »Mitfeiern, was?«
    »Jawohl, Herr Oberleutnant«, antwortete Kleebach erleichtert und fügte unmilitärisch hinzu: »Es ist nicht wegen mir, Herr Oberleutnant … aber meine Mutter, verstehen Sie, sie wartet doch, und sie ist so eine groß …«
    »Mütter warten immer«, unterbrach der Offizier lakonisch, »und sind immer großartige Frauen … nee, mein Lieber …« Er trat an den Gefreiten heran und klopfte ihm auf die Schulter. »Urlaubssperre.«
    »Jawohl, Herr Oberleutnant«, erwiderte Kleebach traurig.
    »Kleebach«, sagte der Oberleutnant, »ich bin kein Unmensch, aber ich kann keine Ausnahme machen. Wenn der Krawall hier vorbei ist, sind Sie der erste, der fährt, ist das klar?«
    »Jawohl, Herr Oberleutnant.« Der Gefreite grüßte mehr als zackig.
    Im ausgeräumten Schulzimmer brannte noch immer Licht. Ein paar Landser schnarchten laut. Drei Unentwegte klopften Skat, zwei Pedanten reinigten ihre Waffen, einige tranken Rotwein aus Kochgeschirren, andere aßen die Verpflegung von morgen auf, weil sicher sicher ist. In einer Ecke saß Böckelmann und spielte auf seiner Mundharmonika. Ein blutjunger Bursche neben ihm rieb das Band des frisch verliehenen EK II mit Staub ein, um es zu patinieren. Kleebach setzte sich an den wackeligen Holztisch und dachte über den Brief nach, den er seinen Eltern schreiben wollte.
    »Gute Nacht, Mutter, gute Nacht …«, spielte Böckelmann leise.
    »Schluß mit dem Quatsch!« grunzte einer im Halbschlaf.
    »Lass ihn doch!« sagten die anderen gereizt.
    »… hab' dir Kummer und Sorgen gemacht! …«, summte Kleebach mit. Auf einmal war er ganz nahe bei ihr, nicht so verlegen wie sonst, wenn er zärtlich zu ihr sein wollte und durch jugenddumme Sprödigkeit gehemmt war, die nur mangelhaft verschleierte, wie sehr er an ihr und seinem Vater hing.
    Und jetzt rückte der große Tag heran, der 14. Juni, und seit einiger Zeit redeten und schrieben die Kleebachs nichts anderes mehr, als wie sie ihren Eltern eine schöne Silberhochzeit bescheren könnten.
    Meine liebe Mutter, schrieb Gerd Kleebach in sauberen, regelmäßigen Buchstaben, lieber Vater, eben habe ich mit dem Oberleutnant verhandelt und er versprach mir einen Sonderurlaub zu Eurem fünfundzwanzigsten Hochzeitstag, falls wir rechtzeitig in Paris sind, woran ich nicht zweifle. Ihr hört ja sicher aus den Sondermeldungen, wie rasch es vorwärtsgeht, und es ist auch gar nicht so schlimm, wie es aussieht …
    Gerd schrieb den Brief zu Ende und gab ihn noch in der Nacht zur Post. Endlich legte er sich als letzter hin, und schließlich konnte er auch einschlafen, bis ihn Stunden später der schrille Pfiff wieder zum Appell rief, einer Hölle entgegen, die jene Soldaten der Kompanie nie vergessen würden, die sie überleben sollten …
    Der Tag war frühzeitig aufgestanden. Er gab sich sonnig und warm, als wollte er den zwei Dutzend Männern in den blauen Uniformen, die bei dem Zustellpostamt im Berliner Westen ihre tägliche Bürde in Empfang nahmen, den Weg erleichtern. Sie hängten sich die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher