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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie
Autoren: Tom Sharpe
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unmittelbar nach Oxford die meisten unfähigen Wissenschaftler im ganzen Land hervorzubringen. Verantwortlich dafür, daß sich die Erwartungen ins Gegenteil verkehrt hatten, war zu einem großen Teil das Bibliotheksgebäude. Nachdem es in den späten fünfziger Jahren ursprünglich als relativ nüchterner Bau konzipiert worden war, bekam es im Anschluß an einen rein zufälligen Besuch von Sir Harold Wilson in den hitzigen Tagen zu Beginn seiner ersten Amtsperiode ganz neue Dimensionen. Dank dichten Nebels und der politischen Färbung des Polizeidirektors hatte es Wilson nach Kloone statt nach Macclesfield verschlagen. Die im dortigen Arbeiterclub in der kurzen Zeit seit seiner Wahlkampagne erfolgten Veränderungen und Errungenschaften hatten ihn derart überwältigt, daß er sich zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für die »Schaffung einer Bibliothek« hatte hinreißen lassen, »als Denkmal für und zur Unterstützung des technologischen Fortschritts, den die breite Masse des Volkes miterleben wird und, wenn man dieses Beispiel für durchgreifende Verbesserungen als Maßstab nimmt, unter einer Labour-Regierung bereits erlebt hat«. Um dieses große Projekt voranzutreiben, hatte der Premierminister auf der Stelle sein Scheckbuch gezückt, den ersten Beitrag in Höhe von einhundert Pfund gestiftet, nicht ohne auf dem Kontrollabschnitt zu vermerken, daß dieser Betrag als Betriebsausgabe von seiner Einkommensteuer abzuziehen sei. Nach diesem Akt spontaner Großzügigkeit gab es kein Zurück mehr. Um den guten Ruf des Premiers aufrechtzuerhalten, ließen prominente Geschäftsleute mit linkem Parteibuch, Gewerkschaften, Parteifunktionäre, multinationale Konzerne, die mit Nordseeöl liebäugelten, Parlamentsmitglieder und soziale Wohltäter reichlich Spenden in den Fonds für die Universitätsbibliothek von Kloone fließen, worauf die Universitätsverwaltung prompt die alten Pläne zerriß und einen Architektenpreis für den Entwurf aussetzte, der dem vom Premierminister so beredt prophezeiten technologischen Fortschritt am besten Ausdruck verlieh. Die Bibliothek wurde diesen Anforderungen mehr als gerecht.
    Aus Eisen- und überflüssigerweise Spannbeton errichtet, ein Labyrinth aus Metallrohren und Glasfibersäulen, die allesamt nichts anderes trugen als eine Glaskuppel, verletzte dieses Bibliotheksgebäude aber auch jede Regel des Handbuchs für Energiesparer. Im Sommer dampfte alles in derart spättropischer Hitze, daß sich das Steckenbleiben der Aufzüge zwischen den Stockwerken nur durch die Installation einer hochkomplizierten und wahnwitzig teuren Klimaanlage verhindern ließ. Während der Wintermonate herrschten hingegen arktische Zustände, und die Temperatur sank so rapide, daß es sich häufig als unumgänglich erwies, Bücher, die während des Sommers extremer Trockenheit ausgesetzt gewesen waren, mit Hilfe von Mikrowellenherden aufzutauen, um sie überhaupt öffnen zu können. Es war daher erforderlich, die Klimaanlage zusätzlich mit einer Zentralheizung auszustatten, die durch dieselben Rohre gelegt wurde, so daß diese schließlich doch noch Verwendung fanden. Doch selbst dann konnte es passieren, daß die kleinste Wolke bei ansonsten freundlichem Wetter Studenten, die sich soeben noch gesonnt hatten, mit Frostbeulen bedrohte.
    Im Herbst und Frühsommer war es also notwendig, Heizung und Klimaanlage gleichzeitig oder in extrem kurzen Intervallen abwechselnd laufen zu lassen, um eine halbwegs erträgliche Temperatur zu erzielen. Während einer dieser abrupten Umschaltungen von »Heiß« auf »Kalt« geschah es, daß ein riesiges Segment der Glaskuppel, das die Spannungen, denen es unterworfen war, nicht so gut ertrug wie die Bibliotheksbenutzer, sich und den stellvertretenden Direktor, der fünfundsiebzig Meter weiter unten in den Freiluft-Toiletten onanierte, in ihre Bestandteile auflöste. Seit jenem schrecklichen Tag heißen diese Toiletten nur noch Todeszellen und werden von den zartbesaiteteren Studenten – sehr zum Leidwesen der überlebenden Bibliothekare – unter Mißachtung der sonst an höheren Bildungsstätten durchaus üblichen Hygiene gemieden. Angesichts eines Ultimatums seitens des Bibliothekspersonals versuchte die Universitätsverwaltung mit Macht, den Kot aus den Bereichen Altenglisch und Mittelslowenisch wieder an für die Entsorgung geeignetere Orte zurückzuverfrachten, indem sie unterhalb der gigantischen Glaskuppel ein engmaschiges Drahtnetz spannen ließ, in der Hoffnung,
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