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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie
Autoren: Tom Sharpe
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damit den Studenten neues Vertrauen in die Toiletten einzuflößen. Diese Maßnahme hatte nur zum Teil Erfolg. Zwar bewahrte sie eine Vielzahl wertvoller Bücher vor Zweckentfremdung, doch hatte sie den Nachteil, daß sie die Luftzirkulation stark einschränkte und die Reinigung der Glasinnenflächen zu einer Sisyphusarbeit werden ließ. Es dauerte nicht lange, bis die gewaltige Glaskonstruktion ein fleckiges Dunkelgrün angenommen hatte, was immerhin dazu führte, daß die Bibliothek von außen einen dezent botanischen Anstrich bekam. Innen konnte von »dezent« keine Rede sein, denn aufgrund des einzigartigen Klimas wucherten dort exotische Bakterien, Flechten und niederste Gemüsearten. Grünes Licht sickerte auf die Regale herab und mit ihm ein zarter Schleier aus Algen, die sich, nachdem sie sich unter dem Dach verdichtet hatten, hartnäckig im Teppich des Lesesaals und zwischen den Buchdeckeln einnisteten. Die Folge war, daß ein paar Regale im vierzehnten Stock explodierten und mehrere unersetzliche Papyrusrollen, Leihgaben der Universität von Port Said, in der Handschriftenabteilung so gründlich kompostiert wurden beziehungsweise eine derart störrische Symbiose mit dem Grünzeug eingingen, daß sie jeglichem Entzifferungsversuch und selbst der teilweisen Restaurierung widerstanden.
    Demgemäß erwiesen sich die Kosten für den Betrieb der Bibliothek schlichtweg als Katastrophe für den Universitätshaushalt. Wissenschaft und Technologie lagen darnieder, in den Laboratorien fehlte es an der erforderlichen Ausrüstung, und die Physiker, Chemiker und Ingenieure wanderten in großzügiger ausgestattete Einrichtungen ab. Paradoxerweise florierten die Geisteswissenschaften, allen voran die Soziologie. Angelockt durch den Innovationsgeist, der sich in der Bibliothek so augenfällig manifestierte, bevölkerten herausragende Gelehrte, die von Oxbridge übergangen worden waren oder sich von diesen traditionsbefrachteten Bildungsstätten angeödet fühlten, den asphaltierten Campus. Und sie brachten eine geradezu missionarische Leidenschaft für alles Experimentelle, Radikale, Anarchische und zwischenmenschlich Freiheitliche mit, mit der sie ihren Studenten selbst für die Mitte der sechziger Jahre weit voraus waren. Was an anderen Universitäten radikale Studenten forderten, wurde in Kloone den Anfangssemestern aufgezwungen.
    Junge Frauen aus ehrbaren Arbeiterfamilien wurden in gemischten Studentenheimen mit gemeinsamen Waschräumen untergebracht. Als Reaktion auf ihre Beschwerden darüber, daß im Lehrplan nichts davon stehe, daß sie Betten, Zimmer und fast unvermeidlich Teile ihrer selbst mit jungen Männern teilen müßten und daß dies ernsthaften Studien wohl kaum zuträglich sei, mußten sie sich den völlig ungerechtfertigten Vorwurf latenten Lesbentums gefallen lassen, was zu jener Zeit noch nicht als durchaus akzeptabel galt.
    Nachdem von maßgeblicher Seite anfangs die Ziele der Frauenbewegung propagiert worden waren, ging man jetzt dazu über, den Studenten die eigenen klassenlosen Ideen einzubleuen – Studenten, deren bloße Anwesenheit an dieser Universität bereits Beweis genug für ihre Entschlossenheit war, die soziale Leiter auf dem einzigen im Wohlfahrtsstaat gangbaren Weg zu erklimmen. Dozenten, die vor Töchtern und Söhnen von Fabrikarbeitern, Bergleuten und Stahlarbeitern die Tugenden des Proletariats rühmten, sahen sich mit fassungslosen Gesichtern und einer ungewöhnlich hohen Neurosequote konfrontiert. Und so kam es, daß in Kloone Versuche, linken Kampfgeist zu wecken, kläglich scheiterten, während andere Universitäten zu Schlachtfeldern aufgebrachter Erstsemester und faschistoider Dozenten wurden. Es gab keine Sitins – niemand, der noch bei Sinnen war, hätte sich freiwillig in die Bibliothek gesetzt, und kein anderes Gebäude war groß genug, um die für die Erzeugung einer Massenhysterie notwendigen Studentenmassen aufzunehmen; keine Forderung nach studentischer Kontrolle; kein gewaltsames Eindringen in die Verwaltungsräume; und die entschiedene Weigerung, an Seminaren teilzunehmen, in denen die Dozenten zerfleischende Selbstkritik übten. Und selbst von albernen Dozentenhänden hingesprayte Wandschmierereien wurden von Studenten prompt freiwillig entfernt. Die einzigen Forderungen, die laut wurden, betrafen die Abschaffung ständiger ideologischer Bewertung und die Wiedereinführung von Prüfungen, strenger Disziplin und eisernen Regeln, die den Studenten die
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