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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie
Autoren: Tom Sharpe
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werden da schon wieder herauswachsen«, erklärte sie ihrem Mann, als dieser sich darüber beschwerte, daß er sie im Bad in weiblichen Dessous ertappt hatte. »Sie haben eben einfach Identitätsprobleme.«
    »Was ich da gesehen habe, kam mir durchaus nicht einfach vor«, schnauzte Petrefact sie an, »und was die Identität angeht, so werde ich die beiden erst auseinanderhalten können, wenn einer der kleinen Saukerle keine Ohrringe mehr trägt.«
    »Ich will nichts mehr davon hören.«
    »Und ich will nichts mehr davon sehen. Also sperr deine verdammten Strapsgürtel gefälligst weg.«
    »Aber Ronald, die trage ich doch schon seit Jahren nicht mehr.«
    »Ich wünschte, das würde auch für den Rest der Familie gelten«, sagte Petrefact und knallte die Tür zu, um seinen Abscheu zu dokumentieren. Doch das unbestimmte Geschlecht seiner Söhne verfolgte ihn wie ein Gespenst. Erst nachdem Frederick seine Männlichkeit – zumindest teilweise – dadurch unter Beweis gestellt hatte, daß er sich von der besten Freundin seiner Mutter verführen ließ, befreundete sich Lord Petrefact mit dem Gedanken, wenigstens einen männlichen Erben zu haben.
    Bei Alexander wußte man es nicht so recht. Zumindest nicht bis zu jenem Abend ein paar Jahre später, an dem Frederick, den die Familie in Oxford wähnte, wo er hingehörte, auf einem Empfang zu Ehren des Ministers für Staatliche Entwicklung von Paraguay aufkreuzte, der drauf und dran war, die Rechte an neunzig Prozent des Mineralaufkommens seines Landes an die Petrefact-Tochtergesellschaft Maulwurf KG zu verkaufen. »Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß wir soeben ein Mitglied unserer Familie verloren haben«, verkündete Frederick den versammelten Gästen, wobei er seiner Mutter einen düsteren Blick zuwarf.
    »Doch nicht ... du meinst doch nicht ...«, setzte Mrs. Petrefact an.
    Frederick nickte. »Tut mir leid, aber mein Bruder ist abgesprungen. Ich habe versucht, ihn davon abzuhalten, aber ...«
    »Du meinst, er ist ins Wasser gegangen?« fragte Petrefact hoffnungsvoll.
    »O mein armer Alexander«, stöhnte seine Frau. Frederick wartete ab, bis man ihr Schluchzen im ganzen Saal hören konnte. »Noch nicht. Aber sicher, wenn sie wieder zu sich kommt ...«
    »Aber du sagtest doch, er sei tot.«
    »Nicht tot, aber von uns gegangen«, sagte dieses Scheusal von Frederick. »Ich sagte wörtlich, daß wir ein Mitglied unserer Familie verloren haben. Ich kann mir auch weniger dezente Formulierungen vorstellen, aber keine so treffenden. Ich habe zum Beispiel nicht gesagt ...«
    »Dann laß es auch«, schrie Lord Petrefact, der endlich die Bedeutung des geänderten Pronomens begriffen hatte. Seine Frau war da etwas langsamer.
    »Warum hast du dann gesagt, daß er abgesprungen ist?« Frederick angelte sich ein Glas Champagner. »Ich stelle mir vor, daß eine derartige Operation immer was mit Abspringen oder vielmehr Absprengen zu tun hat. Und Alexandra, oder damals noch Alexander, hat sich dafür entschieden ...«
    »Hör auf!« brüllte Lord Petrefact, aber Frederick ließ sich nicht so leicht zum Schweigen bringen.
    »Ich habe mir immer eine Schwester gewünscht«, murmelte er, »und wenn ich vielleicht auch ein bißchen frühreif bin, so kannst du, liebe Mutter, dich wenigstens damit trösten, daß du keinen Sohn verloren, sondern ein Neutrum gewonnen hast.« Doch das war noch nicht alles. Während die ohnmächtige Mrs. Petrefact hinausgetragen wurde, erkundigte sich Frederick bei dem paraguayischen Minister, ob die katholische Kirche die Geschlechtsumwandlung ebenso strikt ablehne wie die Abtreibung.
    »Aber natürlich nicht. Man braucht doch bloß an die Kastratenchöre der Kirche zu denken«, beantwortete Frederick seine Frage fröhlich selbst, bevor er sich an die Frau des Ministers wandte und mit geheuchelter Anteilnahme der Hoffnung Ausdruck gab, daß sie diese Operation nicht als allzu schmerzhaft empfunden habe.
    Als der Empfang daraufhin ein abruptes Ende fand, faßte Lord Petrefact den festen und unwiderruflichen Entschluß, daß weder sein Sohn noch seine mutmaßliche Tochter je den väterlichen Besitz erben sollten. Auch der verfrühte Tod von Mrs. Petrefact knappe sechs Monate später konnte ihn nicht umstimmen. Frederick wurde, nach Ansicht von Lord Petrefact zu Recht, enterbt, während Alexandra, die schon genügend beschnitten worden war, ein kärgliches Taschengeld erhielt, von dem sie einen Frisiersalon in Croydon betrieb. Von ihrer beider Anwesenheit und den
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