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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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greife ich mir in den Schritt, krabbele mich unter meinem »Urban Discipline«-Shirt, ziehe die Hand wieder zurück und sage: »Ja, dann setze ich wohl mal Kaffee auf.«
     

Die Schutzmacht
    Am 4. Juli gibt es wieder einen Termin bei Dr. Chang, und dieses Mal wollen wir alle dabei sein. Es ist einer der letzten Termine vor der Geburt in sechs oder sieben Wochen, und wir genießen es einfach, uns in diesem Haus am See aufzuhalten. Nach der Geburt werden wir dazu nicht mehr viel Zeit oder Gründe haben, außer wir buchen uns alle ein Abonnement für Akupunkturbehandlungen und Hot-Stone-Massagen.
    Wir haben gute Laune. Das 20. Taxi wurde gestern eingeweiht, die Kasse stimmt, und die Wohnung ist nach der Restaurierung für die Eltern immerhin noch nicht wieder so vermüllt, wie es unsere Bochumer WG damals gewesen wäre. Die Eltern melden sich alle paar Tage am Telefon, reißen sich aber zusammen, was das laute Äußern von Sorgen angeht. Sie haben gesehen, dass wir fähig sind, eine ganze Horde Barbaren allein abzuwehren. Wenn sie wüssten, dass wir selbst die Mafia mürbe gemacht haben ...
     
    »Kommt, wir nehmen den alten Renault!«, sagt Susanne, als wir in die pralle Sonne auf den Hof treten. Wir haben nichts dagegen. Das gute alte Schätzchen hat uns damals durch den Stau und die Autobahntournee begleitet. Selbst Herr Leuchtenberg in Hohenlohe fuhr so einen Wagen. Er bringt Glück. Wir steigen ein, Hartmut fährt, Susanne sitzt vorn, Caterina und ich hinten. Hartmut legt eine Kassette ein, die Jochen uns neulich abends geschenkt hat. Sidney Youngblood in der MC-Fassung. Er hat beides zusammen für nur 2,50 Euro auf dem Trödel erworben, Platte und Band. Der alte Motor startet mit eifrigem Lärm, Sidney Youngblood startet den Popgroove unserer Jugend.
    »Okay«, sagt Hartmut nach zehn Minuten der Fahrt. »Lasst uns das noch mal durchgehen. Kinderzimmer ist fertig. Milchvorräte sind angelegt, falls die Brust mal nicht will.«
    »Meine Brust will immer«, sagt Susanne.
    »Wäsche ist eingekauft. Höschen, Windelhöschen, Bodys, Lappen, Leibchen, Öl, Puder, Papier, Pinsel, Schwämme, Badewasserthermometer und Söckchen.«
    Caterina und ich lächeln und halten Händchen. Wir freuen uns so für die beiden. Wir träumen davon, dass sie sich bald auch für uns freuen können.
    Hartmut redet weiter, glänzende Äuglein, ein ganzes Leben vor Augen: »Schnuller in verschiedenen Durchmessern, Fläschchen, Babyphon, Bobbycar ...«
    Eine laute Sirene samt Blaulicht unterbricht Hartmuts Aufzählung. Direkt neben uns auf der Fahrerseite ist ein großer Wagen der Verkehrspolizei aufgetaucht. Er lässt bloß eine Handbreit Raum zwischen sich und uns. Im Fenster hängt ein junger Beamter mit einer Kelle und winkt uns, sofort rechts ranzufahren. Hartmut sieht sich hektisch nach einer Möglichkeit um, das zu tun, aber es gibt keine. Wir sind auf der Mittelspur, rechts von uns ist Verkehr, dann mehrere Reihen geparkter Autos, und in 800 Metern kommt eine Baustelle. Bagger haben tiefe Gräben in den Asphalt gerissen, Kanalisationsrohre werden ausgebessert. Die Beamten scheint das nicht zu interessieren. Sie drängeln und gestikulieren, als seien wir Schwerverbrecher.
    »Ja, doch!«, schreit Hartmut und versucht, ihnen begreiflich zu machen, dass er anhalten wird, sobald es geht. Susanne ist aschfahl. Sie klammert sich an den Griff in der Tür. Hartmut hebt die Hand, um den Beamten zu zeigen, dass er nach der Baustelle rechts ranfahren wird, doch der junge Typ im Fenster schüttelt nur den Kopf, als sei Hartmut ein unverbesserlicher Wiederholungstäter, und bedeutet seinem Fahrer, aufs Gas zu treten.
    »Pass auf, Hartmut!«, kann ich noch schreien, als der klobige, große Wagen scharf vor uns einschert, Hartmut instinktiv das Steuer herumreißt und wir mit 50 km/h ungebremst in einen Bagger hineinfahren, der auf der rechten Spur vor sich den Graben gezogen hat. Ich spüre noch, wie sämtliche meiner Knochen sich gegeneinander verschieben wie Schieferplatten.
    Dann spüre ich nichts mehr.
     
    Berliner Zeitung Montag, 5. Juli 2009
     
    UNFALL DURCH SCHUTZMACHT

    Gestern Nachmittag ereignete sich auf der Prenzlauer Promenade ein schwerer Unfall, der für die Insassen eines alten Renault Kastenwagens tragisch endete. Eine Streife der Verkehrspolizei drängte den seit vier Tagen nicht mehr für den Straßenverkehr zugelassenen Wagen von der Spur, der Fahrer verlor die Kontrolle und raste ungebremst in eine Baustelle. Die Insassen im Fonds
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