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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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Grüne Gründung subventionierten Boden tropft.
    In die wieder eingekehrte Stille hinein sagt Hartmuts Vater, der daheim nur neues Bier im Bastkorb aus dem Keller holt, so besorgt wie unmissverständlich: »Und selbst, wenn ihr euer ganzes Unternehmen mitnehmt — ihr solltet ernsthaft darüber nachdenken, wieder in eine andere Stadt zu ziehen.«
    Es fällt uns kein Grund ein, ihm zu widersprechen.
     

Urban Discipline
    Wenige Tage nach der Schlacht von Pankow nehmen wir uns eine Auszeit bei Jochen und Mario. Ihre Wohnung ist die einzige Oase in dieser Stadt neben der Wannseepraxis von Dr. Chang. Nach ihrer Zeitrechnung sind schon wieder ein paar unterhaltsame neue Platten erschienen, die sie natürlich beim Trödelhändler zusammengeklaubt haben. Marc Cohns selbstbetiteltes Debüt, von dem man bis heute fast jeden Tag »Walking In Memphis« im Radio hört; Van Halens »For Unlawful Carnal Knowledge«, das damals im Musikexpress satte sechs Sterne bekam, sowie »Passion, Grace &c Serious Bass« von Sidney Youngblood mit den guten alten Hits »If Only I Could« sowie »Sit And Wait«. Dieses Album dreht sich gerade im Wohnzimmer auf dem Teller, während Hartmut, Caterina und ich auf der Couch mitwippen, Susanne im Spieleraum ihre letztes Mal abgebrochenen Rocket Knight Adventures weiterspielt und Jochen in der Küche eine Flasche Wein aufmacht, die wie das Spiel aus dem Jahr 1994 stammt. Mögen die Prinzipien von Jochen und Mario beim Spiele- und Plattenkauf auch noch so preiswert sein — bei Wein führen sie ohne Umweg in die teure Feinschmeckerei.
    »So«, sagt Jochen, während er eingießt, sechs Gläser auf ein Tablett stellt, es ins Wohnzimmer trägt, Susanne zu uns ruft und sagt: »Genießt diesen edlen Tropfen. Komm, einen Schluck darfst auch du, Susanne. Wein schützt vor Herzinfarkt und stärkt das Immunsystem. Ach, er schützt eigentlich vor allem.« Jochen lacht.
    In seinem Regal über dem Fernseher stehen »Karate Warrior I-IX« sowie »American Fighter I-V« sauber auf Kante. Wie ich ihn liebe.
    »Er schützt nicht vor Berlin«, sagt Hartmut und stellt sein Glas auf dem Wohnzimmertisch mit den beigen Fliesen ab. »Bitte?«, fragt Jochen.
    »Der Wein. Er schützt vor Herzinfarkt, aber nicht vor dieser Stadt.«
    Sidney Youngblood singt: »If only I could / I'd make this world a better place.«
    »Wenn du neulich Abend dabei gewesen wärst ...«, sagt Hartmut zu Mario.
    »Was wollt ihr tun?«, fragt der.
    Hartmut formt ein Dach mit den Augenbrauen. Caterina knetet meine Hand. Susanne trinkt ganz vorsichtig und sieht der Vinylplatte beim Sich-Drehen zu.
    Hartmut sagt: »Wie oft wurdet ihr schon gefragt, wann ihr ins Ruhrgebiet zurückkehrt?«
    Jochen sieht Mario an. »Dreimal im Monat?«
    »Viermal.«
    »Viermal? Im Monat?«, fragt Hartmut. »Pro Woche!«
    »Wenn man die Mails mitzählt.« Hartmut lacht, ein wenig bitter.
    Sidney Youngblood kommt zum Schluss und startet den nächsten Song. Die Platte knackt und knistert leicht. In dieser Wohnung kann man niemals Angst haben. Draußen schon. Eine angstfreie Welt, das ist doch alles, was wir wollen.
    »Denkt ihr etwa darüber nach ...«
    »Die Firma zu verlegen?«, ergänzt Hartmut Jochens Satz. »Auf jeden Fall. Jedenfalls raus aus Pankow.«
    »Sie muss in Berlin bleiben. So ein Business klappt nur hier.«
    »Das klappt auch in Ruhrstadt«, sagt Hartmut. »Entweder wir gehen in ein besseres und teureres Berliner Viertel oder zurück nach Hause.«
    »Bringt erst mal das Kind zur Welt«, sagt Mario und horcht an Susannes Bauch. »In zwei Monaten ist es so weit«, sagt er, »ich bin so aufgeregt!«
    »Mein Mann muss noch besser singen lernen«, sagt Susanne. Ich schmunzele.
    Ich denke an Hartmuts Gedankenexperiment. Die Firma läuft gut. Wir sind im Plus. Wir könnten uns beide Alternativen leisten. Ein neues Gelände in Potsdam oder Grunewald. Oder wieder in Bochum. Ich frage mich, was mir lieber wäre. Ich denke an den Kemnader See und die Gaststätte Seier, das tiefe, grüne Lottental und die Hügel von Stiepel. Alles ist möglich. Jetzt bringen wir erst mal das Kind zur Welt, und dann sehen wir weiter.
    »Genug gegrübelt«, sage ich und klatsche auf die Knie. »Wir sind zur Ablenkung hier, also Jochen, lenk uns ab!«
    Jochen hält ein Original-VHS-Video in die Luft und lacht: »Soeben neu reingekommen, die absolute Sensation! Mario, wirf die Popcornmaschine an!«
    Wir bekommen ein warmes Kribbeln im Bauch, als wir sehen, was auf der Packung steht. Die
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