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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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denken. Mir laufen lautlos die Tränen. Caterina ebenfalls. Unsere Eltern sind da, allesamt. Sie halten sich gerade in der Cafeteria auf oder regeln Dinge in der Firma in Pankow. Wir sollten jetzt stark sein, aber wir können nicht.
    Hartmut steht vom Bett auf und geht trotz Halskrause im Zimmer herum.
    »Ich weiß nicht«, sagt er. »Brauchen wir nicht einen Platz, wo wir hingehen können? Einen richtigen Ort? Ein Grab?«
    Susanne senkt ihren Kopf, als wolle sie das nicht hören und könne auch nicht glauben, dass er das sagt. Sie sieht ihn an, als wäre er nicht Lisas Vater und ihr Freund, sondern ein ungebetener Bekannter, der meint, erwähnen zu müssen, was »man« in diesem Falle halt so macht.
    Sie sagt: »Ich habe mein Kind verloren, und du sagst mir jetzt, wie ich damit umgehen soll, oder was?«
    Sie weint wieder. Schreit.
    Dreht sich weg.
    »Es war auch mein Kind!«, brüllt Hartmut.
    Sie brauchten sich jetzt gegenseitig, aber dieses Ereignis hat sie so verwundbar gemacht, dass sie keine Kontrolle mehr haben.
    »Hört auf«, sage ich zaghaft, aber es hat keinen Zweck.
    Susanne versteckt sich schluchzend unter der Decke, und Hartmut stürmt hinaus auf den Flur und schlägt die Tür zu.
     
    »Es sind diese Schnapsideen«, sagt Caterina, als wir alleine um 22 Uhr abends an einem Tisch im Flur des Krankenhauses nahe des Schwesternzimmers sitzen. Der Tisch ist rund, eine rote Tischdecke liegt darauf, in der Mitte eine weiße Vase mit zwei Blumen.
    »Wie bitte?«, sage ich.
    Sie schüttelt den Kopf, bitter wie eine Frau, die es immer schon gewusst hat. »Ihr habt eine gefälschte Wohnung in den Keller in Bochum eingebaut, um das Bauamt zu täuschen. Ihr habt für 8000 Euro blind ein Haus in Schwaben gekauft und seid dort mit Wehrsportsoldaten durch die Wälder gerobbt.« Sie schluchzt und ist zugleich zornig. Die Hand, die ich ihr reichen will, schlägt sie weg.
    »Ihr habt dem GEZ-Typen auf der Autobahn die Thermoskanne über den Kopf gezogen und euch so lange geweigert, ihm Auskünfte zu geben, bis er uns die Steuerfahndung auf den Leib gehetzt hat. Und dann die Geschichte bei Bochum Total damals ...«
    Ich springe vom Tisch auf und spüre eine befremdliche Wut. Ich habe Caterina noch nie angeschrien. Jetzt ist es so weit. Ich sage: »Kommt jetzt alles auf den Tisch, oder was? Alles, was du früher spannend fandest, ist jetzt Scheiße?«
    Sie stützt sich auf die Tischplatte und schreit zurück: »Ihr wart immer nur unverantwortlich! Habt einfach drauflos gemacht! Ich ...«
    Eine Schwester tritt aus dem Zimmer und hält die Hände flach gen Boden.
    Caterina verlegt sich vom Schreien aufs Zischen: »Ich mache jetzt seit Monaten Grafikdesign, erst für diese blöde Agentur und jetzt für MyTaxi. Glaubst du, so habe ich mir das vorgestellt? Glaubst du, ich hätte nicht lieber die Ausstellungen weitergemacht? Gemalt? Mir in Berlin tatsächlich mal die Kunstszene angesehen, wie meine Mutter sagt?«
    Ich weiß, dass sie es nicht so meint.
    Sie ist nicht unglücklich mit unserem Leben.
    Es gibt keine geheime Wahrheit, die im Normalfall im Verborgenen liegt und dann in Krisenzeiten hervorbricht. Es gibt nur Verzweiflung und Hilflosigkeit und den Drang, das, was man hat, auch noch zu zerschlagen, weil ohnehin schon so viel verloren ist.
    Das weiß ich.
    Trotzdem sage ich: »Wenn du so unglücklich bist, warum sagst du es dann nicht? War alles nur eine Lüge, oder was? Das ganze Miu Miu und Geschmuse?«
    Caterina sieht mich nur still an, während der Zorn in ihren Augen gläsern zerschwimmt.
    Dann geht sie ohne Worte weg, irgendwohin in diesem verdammten Haus in Greige.
     

Ein Diamant
    Susanne bekommt ihren Diamanten aus Lisas Asche, und die Familien feiern trotzdem eine symbolische Beerdigung, eine Trauerfeier ohne Sarg und mit leerer Urne, in einer Kapelle in Pankow. Ein Grab wird es nicht geben, da Lisa niemals irgendwo zu Hause war außer in ihrer Mutter, die sie nun ewig bei sich tragen kann. Sie hierzulassen, auf einem Friedhof im Feindesland, wäre nicht richtig. Und sie zu begraben in der Erde unserer Heimat scheitert schon daran, dass wir viele Heimatorte haben. Wo sollte das sein? In Köln? In Bochum? In Wesel? Die Feier ist kurz und schrecklich. Hartmut versucht, etwas zu sagen, aber das erste Mal in seinem Leben versiegen ihm die Worte. Stattdessen spricht der Priester, der nur da vorne steht, weil Hartmut auf dem Papier noch katholisch ist. Er ist nie ausgetreten wie der Rest von uns. Lisa hat diesen
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