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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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des Wagens kamen mit leichten Verletzungen davon. Der Fahrer erlitt ein Halswirbeltrauma. Seine Beifahrerin blieb nahezu unverletzt, da der Aufprall in dem nicht mit Airbags ausgestatteten Wagen von ihrem eigenen Bauch gebremst wurde. Sie war im 7. Monat schwanger. Das Kind konnte nicht gerettet werden.
     
    Bei den Insassen handelt es sich um die Betreiber des allseits beliebten  Start-up-Unternehmens MyTaxi. »Sosehr wir dieses Ereignis auch bedauern«, kommentierte ein Sprecher des Ministeriums den Vorfall, »so unverständlich ist es, wie ausgerechnet diese Personen das zum 1. Juli in Kraft getretene Verbot der Nutzung von Kfz-Modellen vor Baujahr 2000 ignorieren konnten.« Der Gesetzesverstoß rechtfertige zwar nicht das rabiate Vorgehen der Beamten, die mittlerweile suspendiert worden seien, der Vorfall sei aber nicht als Argument zu werten gegen ein Gesetz, das dazu beitrage, dieses Land sauberer und sicherer zu machen und den CO2-Ausstoß bis 2020 um die geforderten 40% zu verringern. Kritiker behaupten, die schnelle Einführung dieses Gesetzes - das zahllosen Kleinunternehmern und Spediteuren mit älteren Fuhrparks das Genick bricht - habe mit Umweltschutz nichts zu tun, sondern sei nur in den Eskapaden der Rap- und Popstars begründet, die mit stinkenden Spritschleudern ihre Millionen von Minuspunkten im BürgerVZ vermehrten und damit eine heimliche Sehnsucht der Menschen nach einem gedankenlosen Umgang mit der Natur und dem Leben ansprächen, die im Sinne der Gerechtigkeit schon im Keim erstickt werden müsse. Der Unfall, so die Chefin des Moralministeriums Dr. Schulte-Miebach-Brankowski-Loh, sei ein zutiefst tragischer Einzelfall, der aber nicht davon ablenken dürfe, dass die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen den einzig möglichen Weg darstellten, das ökologische und soziale Gleichgewicht der Welt auf Dauer wiederherzustellen. Einen solchen Einzelfall als Vorwand zu nutzen, einen konservativen Rollback zu fordern, sei nicht nur falsch, sondern in Anbetracht der Lage geradezu obszön.  
     
     

Das Haus in Greige
    »Ein Diamant«, sagt Susanne in dem nur von dem Licht hinter ihrem Bett beleuchteten Krankenhauszimmer. Es ist das Licht einer Neonleuchte hinter einer Holzverkleidung, vergittert mit Aluminiumlamellen. Neonlicht. Als ob die hier nicht wüssten, wie schädlich das für die Seele des Menschen ist. Sie wissen es wahrscheinlich wirklich nicht.
    Dr. Chang weiß so etwas, aber Dr. Chang werden wir nie mehr besuchen. Und die hier, im Krankenhaus, die würden ihn nicht ernst nehmen. Sie flicken uns wieder zusammen, nachdem die anderen, die auch nur ihren Job gemacht haben, uns von der Straße gedrängt und unser Leben zerstört haben. Es war nicht mein Kind, das da verlorenging, aber es fühlt sich so an. Ich kann die Leere, die dieser Tag gerissen hat, nicht beschreiben. Es fühlt sich an, als wäre in meinem Magen ein schwarzes Loch entstanden. Gerade klein genug, dass es mich nicht tötet, aber groß genug, um jede Energie aufzusaugen, die sich überhaupt noch in mir bildet. Doch da bildet sich nicht mehr viel. Ich wünschte, ich wäre an diesem Tag im Wagen gestorben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Hartmut und Susanne sich fühlen.
    »Ein Diamant?«, fragt Hartmut, der neben seiner Liebsten am Bettrand sitzt und ihre Hand hält, eine Krause um den Hals.
    Die Wände in diesem verfluchten Raum sind beige oder grau. Greige. Ich erinnere mich daran, was Dr. Chang gesagt hat, in seiner Praxis, an diesem wunderschönen Ort. Ich habe es noch wörtlich im Ohr: >Es kommt darauf an, wo wir sind. In einem Krankenhaus-OP ohne Fenster, umgeben von Menschen in Kitteln und Wänden in Beige und Grau, von greigen Wänden also ... wie sollen Sie da das Gefühl haben, dass es eine Welt ist, in die man das Kind gerne hineinsetzen will?< Er hatte recht.
    Susanne sagt: »Wir pressen aus Lisas Asche einen Diamanten. Dann tragen wir sie immer bei uns.« Sie schluckt. Sie kann nicht mehr weinen. Sie hat die letzten drei Tage geweint, am Stück, in einer Art und Weise, die ich nicht beschreiben kann. Man hätte glauben können, es zerreißt sie von innen, im wörtlichen Sinne, tatsächlich, physisch. Jetzt ist sie leer. Oder wieder »vernünftig«, wie man das so nennt. Da Hartmut und sie es vorher nicht wissen wollten, haben sie erst nach dem Unfall erfahren, dass sie eine Tochter bekommen hätten. Sie konnten ihr erst einen Namen geben, nachdem sie schon fort war. Ich versuche, nicht daran zu
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