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Feind aus der Vergangenheit

Feind aus der Vergangenheit

Titel: Feind aus der Vergangenheit
Autoren: Stefan Wolf
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(baulich instand gesetzt). Von den sechs
großen Sälen konnte nur einer besichtigt werden.
    „Erst im Dezember eröffnen wir
wieder“, erklärte der Aufsichtsbeamte. „Bis dahin ist immer nur eine Abteilung
zu besichtigen. Heute können Sie sich die Giftmörder ansehen, junger Mann. Ihre
Fotos, ihre lebensgroßen Nachbildungen als Wachsfiguren und ihre Geräte. Das
ganze für den halben Eintrittspreis.“
    „Ein Sechstel des
Eintrittspreises wäre angemessen.“
    „Rein rechnerisch ist das
richtig. Aber die Verwaltung hat anders entschieden. Ich mache die Preise
nicht. Außerdem gibt es für Sie noch Ermäßigung. Sind Sie Schüler?“
    Tim bestätigte. Und brauchte
dann nur eine halbe Stunde, um sich kundig zu machen. Auf Schrifttafeln konnte
er die Fälle nachlesen. Zwei Dutzend Giftmörder hatten gewütet. Einem war ein
halbes Dorf zum Opfer gefallen. Die Geschehnisse, zum Teil 100 Jahre alt, waren
grausig — und für Tim eher langweilig.
    Als er ging, nickte er dem
Beamten zu. Der paßte genau auf, daß kein Besucher was mitnahm — zum Beispiel
eine staubige, lebensgroße Wachsfigur oder eine alte Kanne, aus der die Opfer
vergifteten Tee getrunken hatten.
    Tim trabte zum Bahnhof zurück.
Vielleicht waren die beiden Damen noch da.
    Schon von weitem sah er Karin.
    Sie war auf dem Parkplatz, ging
nervös auf und ab, sah umher, suchend, stemmte mal die Hände in die Hüften,
schüttelte dann, andeutungsweise, den Kopf.
    „Tim!“ Sie bemerkte den
TKKG-Häuptling, als er auf sie zu trabte. „Hat dich Susanne mit meinem Wagen
abgeholt?“
    Intelligente Frage, dachte er.
Sie sieht doch, daß ich zu Fuß komme.
    „Abgeholt hat Mutti mich nicht.
Gesehen habe ich sie auch nicht. Wieso?“
    „Sie ist mit meinem Wagen
weggefahren. Aber eigentlich sollte sie hier warten. Erst warten beim
Fotoautomaten, bis die Bilder fertig sind. Weil ich inzwischen bei der
Schneiderin war. Dann hier. Warten, meine ich. Ich habe ihr die Schlüssel
gegeben.“
    Tim deutete zum Bahnhofsgebäude
und hob fragend die Brauen.
    Karin schüttelte energisch den
Kopf. „Dort ist sie nicht mehr.“
    Sie überlegten gemeinsam. War
Tims Mutter zur Wohnung gefahren — aus irgendeinem Grunde?
    Karin trat in eine
Telefonzelle, benutzte ihre Telefonkarte und rief an zu Hause. Niemand hob ab.
    „Bitte, warte hier!“ sagte Tim.
„Für den Fall, daß sie zurückkommt. Ich sehe nach in der Halle.“
    Er marschierte zum Portal.
Dort, dicht daneben, saß ein rüdes Pärchen auf dem Boden: er auf einer Zeitung,
sie auf einem Stück Pappe. Er war bullig und mit seinen Tätowierungen im
Gesicht häßlich wie eine Müllhalde. Ihr stand die Vorstadt-Herkunft ins Gesicht
geschrieben. Und die bunten Haare machten den Eindruck noch schlimmer.
    Tim ging zu dicht an dem
Tätowierten vorbei. Der streckte ein Bein aus. Fußangel. Tim stolperte und wäre
gestürzt um ein Haar.
    „Kannst wohl nicht laufen, du
Saftheini“, meinte der Kerl und erhob sich mit überraschender Behendigkeit.
     
    *
     
    Ein Kellerraum. Er war feucht.
Die ehemals getünchten Wände hatten keine Farbe mehr, aber auf dem Zement lag
ein Film schimmliger Nässe.
    Es gab nur ein winziges Fenster
— hoch oben in der Ecke. Davor hingen Spinnweben, dicht wie ein Schleier, der
sich kakaobraun gefärbt hat vom Staub. Das Fenster war so schmal, daß sich nur
ein Kind in den dahinter liegenden Schacht hätte zwängen können. Trotzdem war
es vergittert. Der Schacht war ein muffiges Loch, angefüllt mit grauem
Zwielicht — trotz des sonnigen Tages draußen.
    „Hier bleibst du erst mal“,
sagte Korf.

    Entsetzt blickte Susanne sich
um.
    Eine Gartenliege, rot bespannt,
stand in der Ecke. In einer anderen stapelte sich Gerümpel: ausgesonderte
Altmöbel, Lampen, eine Werkzeugkiste, die aber leer war. An der Wand lehnte ein
wackliger Tisch, der nur noch drei Beine hatte.
    „Das... können Sie nicht
machen“, stammelte Tims Mutter.
    „Und ob ich das kann.“
    Er stieß sie hinein in den
Raum. Der wurde erhellt durch eine nackte und sehr schwache Glühbirne unter der
Decke.
    Korf warf die Tür ins Schloß,
drehte zweimal den Schlüssel und vergewisserte sich, indem er rüttelte, daß
wirklich zugesperrt war.
    „Brauchst nicht zu rütteln“,
sagte Mehlspeise. Er lehnte bei der Kellertreppe an der Wand. „Die Tür ist wie
‘ne Gefängnistür: aus Eiche und schwer. Die hält. Kein Entkommen. Ist noch ‘ne
Tür aus den 30er Jahren. So was zimmert heute keiner mehr.“
    Korf nickte. Sein
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