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Fehltritt Im Siebengebirge

Titel: Fehltritt Im Siebengebirge
Autoren: Georg R. Kristan
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war nach hundert Kilometern Fahrt auf der Autobahn kurz vor der Maas oder Meuse, wie der Fluß hier in Belgien heißt, eingeschlafen. Guido Siemann hatte das Radio leiser gestellt. Er wollte den pennenden Tramper nicht wecken, denn das unentwegte Gerede über die Mängel dieser Welt und die Zwänge der Gesellschaft, die man nur mit Hasch oder härteren Sachen ertragen könne, sagte Guido nichts. Seine Fäuste und seine bärenstarken Arme führten das Lenkrad des 16-Tonner-Sattelschleppers mit einer Leichtigkeit, die der vollendeten Technik zu danken war. Der 1638 S brummte die Autobahnstrecke herunter, als sei der aufgesattelte Großcontainer keine Last, sondern eine Spielzeugkiste. Gute alte 375 PS brachte der Dieseleinspritzmotor mit Abgasturbolader und Ladeluftkühlung auf die Räder. Auch die jüngeren Fahrer hatten mit der Leistungsumrechnung auf Kilowatt nicht viel im Sinn. Sie fühlten sich schließlich nicht als Elektriker und blieben bei den satten PS. 375 Pferde unter dem Hintern – diese Vorstellung gab Kraft.
    Im Fahrerhaus roch es nach frischer Farbe und neuen Kunststoffen, noch nicht nach Öl und Schweiß von Tausenden Kilometern Fahrtstrecke. Ein neuer Benz, strahlende, blinkende Kraft des internationalen Fernverkehrs. Guido Siemann genoß die erste Fahrt mit dem neuen Fahrzeug. Er bewunderte den Chef seines Unternehmens, der auf den wirtschaftlichen Aufschwung setzte und zielstrebig den Fahrzeugpark modernisierte. Dieser Chef war sein Vater. Der hatte aus der Spedition Siemann und Co. Import-Export, mit der Telexadresse Spedimpex Bonn 3, einen straff organisierten leistungsfähigen Betrieb gemacht, der jeder Konkurrenz gewachsen war. Nach dem Willen des Vaters hätte Guido Betriebswirtschaft studieren sollen, doch den Sohn zog es seit seiner Kindheit mit magischer Kraft ans Lenkrad. Die unvermeidbare Büroarbeit war ihm eine Qual, und er überließ sie gern seiner um zwei Jahre jüngeren Schwester Barbara. Vater und Sohn hatten sich arrangiert. So ganz zufrieden war Guido allerdings nicht. Er hatte, wie er meinte, zuwenig Bargeld auf der Hand. Daher hielt er sich schon frühzeitig an die überlieferte Weisheit alter Kapitäne der Landstraße, daß – wenn es richtig läuft – immer ein Rad für den Fahrer läuft.
    »Nehmen wir noch einen Joint vor der Grenze?«
    Guido wurde durch die Stimme seines wachgewordenen Mitfahrers aus seinen Überlegungen gerissen.
    »Sag mal, bist du total bescheuert? Stoff hier im Wagen? Da brauchen die Zöllner nicht einmal einen Haschhund, um uns hochgehen zu lassen. Wenn die den Zug beschlagnahmen, ist eine Viertelmillion im Eimer. Du fliegst bei voller Fahrt aus dem Fahrzeug, wenn du das Dreckszeug nicht sofort aus dem Fenster wirfst. Los, die Scheibe runter, das ist mein Ernst!«
    »Nun mal sachte, war doch nur ein Angebot«, versuchte der Tramper abzuwiegeln. »Und dann bei voller Fahrt, diese Drohung kann ja wohl nicht ganz wahr sein.«
    »Ich sage dir – raus damit, sofort, oder du bist draußen! Das hätte mir gerade noch gefehlt, durch dich Pimpf in den Zollcomputer zu kommen. Also, wird’s jetzt?!«
    Der Tramper kramte in seiner neuen großen Schultertasche herum, die aus einem Dritte-Welt-Laden zu stammen schien, nahm ein paar Selbstgedrehte heraus und warf sie aus dem Fenster.
    »Alles draußen? Bau hier ja keinen Türken, sonst… Mann, wie konnte ich nur so dämlich sein, ausgerechnet dich mitzunehmen.«
    »Na, dir fehlt doch der Beifahrer, und das hat die Polizei gar nicht gern.«
    »Scheißkerl! Wenn du aussteigen willst, fahre ich den nächsten Parkplatz an. Ansonsten bist du spätestens beim ersten Halt hinter der deutschen Grenze von Deck.«
    »Sachte, sachte, starker Mann. Ich bleibe demütig, bis Mutter Heimat mich wiederhat.«
    Bei Lüttich ragten die Kegel der Abraumhalden der Bergwerke fremd und unmotiviert aus der Landschaft. Sie schienen sich am Horizont zu verschieben, während der Sattelzug die Kilometer fraß. Guido Siemann überlegte, ob er bei Barchon den 300-Liter-Tank noch einmal vollaufen lassen sollte. Bis zur deutschen Grenze waren es dann nur noch dreißig Kilometer. Die Preisdifferenz beim Dieselkraftstoff wurde auch bei kurzen Fahrten ins Ausland ausgenutzt, soweit sich das mit den Freimengen vereinbaren ließ. Doch jetzt hatte ihn der Tramper aus dem Konzept gebracht. Der Fuß ruhte bleischwer auf dem Gaspedal.
    »He, starker Mann, merkst du gar nicht, daß du viel zu schnell fährst? Die haben hier Geschwindigkeitsbegrenzung
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