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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana
Autoren: Agatha Christie
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den Drang, die Welt zu verbessern. Lewis ist da richtig plemplem. Er fährt nächste Woche nach Aberdeen, weil da so ein Fall vor Gericht kommt – ein Junge, der schon fünfmal verurteilt worden ist.«
    »Der junge Mann, der mich am Bahnhof empfangen hat, Mr Lawson – er assistiert Mr Serrocold, hat er mir gesagt. Ist er sein Sekretär?«
    »Ach, Edgar hat nicht genug Grips, um als Sekretär zu arbeiten. Eigentlich ist er selbst ein Fall. Er hat immer in Hotels herumgelungert, sich als hochdekorierter Kriegsheld oder Kampfflieger ausgegeben, sich Geld gepumpt und dann die Kurve gekratzt. Ich glaube, er ist einfach nur ein kleiner Gauner. Aber Lewis behandelt alle nach demselben Schema. Vermittelt ihnen das Gefühl, dass sie zu einer einzigen Familie gehören, lässt sie Arbeiten machen und tut alles, um ihr Verantwortungsgefühl zu stärken. Wahrscheinlich wird einer von ihnen uns eines Tages alle ermorden.« Gina lachte vergnügt.
    Miss Marple lachte nicht.
    Sie fuhren durch ein imposantes Tor, an dem ein Pförtner in soldatischer Haltung Wache stand, und eine von Rhododendronbüschen flankierte Auffahrt hinauf. Die Auffahrt war in einem schlechten Zustand, und das ganze Grundstück wirkte heruntergekommen.
    Den Blick ihrer Begleiterin deutend, sagte Gina: »Keine Gärtner im Krieg, und seitdem machen wir uns nicht mehr die Mühe. Aber es sieht tatsächlich furchtbar aus.«
    Nach einer letzten Biegung tauchte Stonygates in seiner ganzen Pracht auf. Es war, wie Gina gesagt hatte, ein riesiges Bauwerk der Viktorianischen Gotik – eine Art Tempel der Plutokratie. Die Philanthropie hatte zum Anbau mehrerer Flügel und zur Errichtung einiger Nebengebäude geführt, die nicht direkt stilwidrig waren, den Komplex jedoch insgesamt jeglichen Zwecks und Zusammenhangs beraubt hatten.
    »Schrecklich, was?«, sagte Gina liebevoll. »Da ist Grandam auf der Terrasse. Ich halte hier, dann können Sie aussteigen und sie schon mal begrüßen.«
    Miss Marple schritt über die Terrasse auf ihre alte Freundin zu.
    Von weitem wirkte die schlanke kleine Figur seltsam mädchenhaft, trotz des Stocks, auf den sie sich stützte, und ihrer langsamen und offenbar recht schmerzhaften Art der Fortbewegung. Es war, als lieferte ein junges Mädchen eine übertriebene Imitation einer alten Frau.
    »Jane«, sagte Mrs Serrocold.
    »Liebe Carrie Louise.«
    Ja, unverkennbar Carrie Louise. Merkwürdig unverändert, merkwürdig jung noch immer, obwohl sie, im Gegensatz zu ihrer Schwester, keine Kosmetika oder sonstigen künstlichen Mittel zur Erhaltung ihrer Jugend anwandte. Ihr Haar war grau, aber es war schon immer silberblond gewesen, und die Farbe hatte sich kaum verändert. Ihre Haut hatte immer noch das Rosa und Weiß eines Rosenblattes, auch wenn es jetzt ein zerknittertes Rosenblatt war. Ihre Augen hatten sich ihren unschuldigen Sternenglanz bewahrt. Sie hatte die schlanke Figur eines jungen Mädchens und hielt den Kopf noch immer schräg wie ein aufmerksamer Vogel.
    »Ich mache mir wirklich Vorwürfe«, sagte Carrie Louise mit ihrer süßen Stimme, »dass ich so viel Zeit vergehen ließ. Es ist Jahre her, seit ich dich zum letzten Mal gesehen habe, liebste Jane. Ich bin entzückt, dass du uns endlich einmal hier besuchen kommst.«
    Vom Ende der Terrasse her rief Gina: »Komm lieber ins Haus, Grandam. Es wird kalt – Jolly wird sich fürchterlich aufregen.«
    Carrie Louise lachte ihr silberhelles Lachen. »Die bemuttern mich alle so«, sagte sie. »Sie reiben es mir ständig unter die Nase, dass ich eine alte Frau bin.«
    »Und du fühlst dich gar nicht so.«
    »Nein, überhaupt nicht, Jane. Trotz meiner Wehwehchen, und davon habe ich mehr als genug. Im Innern fühle ich mich noch so jung wie Gina. Vielleicht tun wir das alle. Der Spiegel sagt uns, wie alt wir sind, aber wir glauben es einfach nicht. Es kommt mir vor, als sei es erst ein paar Monate her, dass wir in Florenz waren. Kannst du dich noch an Fräulein Schweich und ihre Stiefel erinnern?«
    Die beiden älteren Frauen lachten zusammen über Dinge, die fast ein halbes Jahrhundert zurücklagen.
    Sie gingen zu einer Seitentür. Eine hagere ältere Dame empfing sie. Sie hatte eine überhebliche Nase und kurzes Haar und trug ein gut geschnittenes Kostüm aus dickem Tweed.
    »Es ist absolut töricht von Ihnen, Cara«, sagte sie streng, »so lange draußen zu bleiben. Sie sind einfach nicht in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Was wird Mr Serrocold sagen?«
    »Schimpf nicht mit mir,
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